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Die Befreite: Was Simone de Beauvoir wirklich wollte
Aus Sternstunde Philosophie vom 10.11.2019.
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Philosophinnen neu entdecken Philosophieren Frauen anders?

Die Geschichte der Philosophie ist die Geschichte von Männern, lautet ein gängiges Vorurteil. Stimmt nicht, sagt die Kulturjournalistin Catherine Newmark, und widmet der weiblichen Sicht auf die Welt ein reich illustriertes Magazin.

Catherine Newmark

Catherine Newmark

Philosophin und Kulturjournalistin

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Catherine Newmark ist Philosophin und Kulturjournalistin und lebt in Berlin. Sie ist verantwortlich für die Sonderausgaben des Philosophie Magazins.

SRF: Catherine Newmark, die neuste Sonderausgabe des Philosophie Magazins trägt den Titel: «Philosophinnen – eine andere Geschichte des Denkens». Denken Frauen anders?

Catherine Newmark: Sicher nicht im Sinne von «weniger wissenschaftlich». Frauen widmeten sich genauso wie ihre männlichen Kollegen immer den zeitspezifischen Fragen und betrieben Metaphysik, Ethik, politische Theorie, Ästhetik.

Philosophie ist auch reflektierte Selbsterfahrung – und natürlich ist die Erfahrung der Welt von Männern und Frauen oft sehr unterschiedlich.

Aber Philosophie kann man auch nicht in Absehung des eigenen Standpunkts betreiben. Philosophie ist auch reflektierte Selbsterfahrung – und natürlich ist die Erfahrung der Welt von Männern und Frauen oft sehr unterschiedlich.

Warum müssen die Philosophinnen denn immer wieder aus der Versenkung geholt werden, als hätte es deren Beitrag nie gegeben?

Man hat sie oft nicht ernst genommen und quasi nur als Sekretärinnen grosser Männer angesehen, wie zum Beispiel Harriet Taylor Mill, die Frau, mit der der berühmte John Stuart Mill die meisten seiner Bücher schrieb.

Aber schon seit dem 15. Jahrhundert fragen Historiker, warum man eigentlich die Philosophinnen immer wieder vergessen hat.

Wer heute Philosophie studiert, wird auf der obligatorischen Leseliste kaum Werke von Frauen finden...

Zu Unrecht! Unser Philosophieverständnis ist stark geprägt vom 19. Jahrhundert, das besonders frauenverachtend war. Die sogenannte Kanonbildung, die den Bestand der zentralen Werke der Geisteswissenschaften umreisst, geht auf diese Zeit zurück.

Unser Philosophieverständnis ist stark geprägt vom 19. Jahrhundert, das besonders frauenverachtend war.

Die Frauen wurden einfach aus der Geschichtsschreibung entfernt. Émilie du Châtelet, die Seite an Seite mit Voltaire arbeitete, war beispielsweise in ihrer Zeit ein intellektueller Star. Danach ging sie vergessen.

Philosophie Magazin: Philosophinnen

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Die aktuelle Sondernummer des Philosophie Magazins widmet sich der weiblichen Sicht auf die Welt von der Antike übers Mittelalter bis in die Gegenwart und lässt zeitgenössische Denkerinnen wir Judith Butler, Elisabeth Badinter, Antje Schrupp oder Ruth Hagengruber zu Wort kommen. Das Heft ist erhältlich im Buchhandel oder am Kiosk.

Sie haben gesagt, Frauen würden nicht anders philosophieren. Aber das Geschlecht war im 20. Jahrhundert bei Philosophinnen hoch im Kurs. Vor 70 Jahren erschien Simone de Beauvoirs «Das andere Geschlecht», das als Geburtsstunde der Gender Studies gilt, weil erstmals zwischen biologischem Geschlecht (sex) und sozialem Geschlecht (gender) unterschieden wurde.

Natürlich setzt sich das feministische Denken seit dem 19. Jahrhundert sehr bewusst und gezielt mit dem Geschlecht auseinander – weil es darum geht zu zeigen, dass die bestehenden sozialen Verhältnisse nicht notwendig sind.

Beauvoirs Werk ist hier ein Meilenstein. Gerade weil sie Existenzialistin ist: Der Gedanke, dass wir uns ständig neu entwerfen und nicht durch die Geburt festgelegt sind, gilt bei ihr auch fürs Intimste, Persönlichste.

Wir gehen ja heute davon aus, dass wir unser Liebesleben frei gestalten können. Und wir können darüber hinaus auch wählen, ob wir mit Röcken, Hosen, langen, kurzen, knallgrünen oder gar keinen Haaren auf die Strasse gehen. Das verdanken wir letztlich alles Beauvoirs radikaler Philosophie der Freiheit.

Das Gespräch führte Barbara Bleisch.

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