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Pilgern – wozu? Gott oder Ego? Pilgern zwischen Spiritualität und Selbstfindung

Pilgern boomt. Manche machen sich aus religiösen Gründen auf, andere suchen einen Weg zu sich selbst. Eine Geschichte des christlichen Pilgerns.

Tempelmauer in Jerusalem

Ein Jude steht vor der Klagemauer.
Legende: Vom Tempel ist nur noch die Mauer übrig geblieben: die Klagemauer in Jerusalem. Getty Images

Das Christentum ist aus dem Judentum hervorgegangen. Deshalb galten in der Urkirche erst einmal die jüdischen Pilgertraditionen. Dazu gehört etwa die Reise zum Tempel, von dem heute nur noch die Tempelmauer in Jerusalem übriggeblieben ist.

Helena: Kreuz-Kult in Jerusalem

Eine Statue der Helena.
Legende: Sie soll einen spektakulären Fund gemacht haben: Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin. Wikimedia / Jeboluton

Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin des Grossen, soll laut Überlieferung auf einer Reise nach Jerusalem Überreste des Kreuzes gefunden haben, an dem Christus gestorben sein soll.

In den folgenden Jahrhunderten wird Jerusalem zum wichtigen Pilgerort des Christentums – zusammen mit Rom, wo sich die Grabstätten der Apostel Petrus und Paulus befinden sollen. Im 9. Jahrhundert kommt mit Santiago de Compostela das angebliche Grab des Apostels Jakobus hinzu.

Pilgerkult im Mittelalter

Ein Pilgerumhang.
Legende: Gut gekleidet ist halb gepilgert: Im Mittelalter erkennt man Pilger an ihrem Outfit. Wikimedia / Germanisches Nationalmuseum

Das Pilgerwesen nimmt immer konkrete Formen an und wird professionalisiert. Es gibt Pilgergelübde und Reisesegen. Pilger sind mit Pilgertasche und Pilgerstab optisch als Pilger erkennbar, manchmal auch mit Hut und Umhang, Jakobsmuscheln als Symbol für den Jakobsweg, aber auch Metall-Accessoires. Später kamen Münzen und Medaillen zum Umhängen hinzu.

Das Pilgern ist längst nicht mehr nur Verehrung, sondern ein Deal: Durch die Strapazen der Reise leisten die Pilger Busse, können sich so von Schuld befreien, sich eine Absolution regelrecht erpilgern. Oder sie hoffen darauf, von einer Krankheit geheilt zu werden. Pilger standen unter besonderem Schutz, bisweilen tarnten sich aber auch Spione als Pilger, um andere Territorien auszukundschaften.

Pilger auf Kreuzzug

Ein Pilger kämpft gegen einen Muslimen.
Legende: Keine friedvolle Mission: Kreuzzüger, damals als Pilger bezeichnet, kämpften gegen Muslime. Getty Images

Pilgern kann auch martialisch sein. Die Kreuzfahrer machten es sich zu ihrer Aufgabe, die Pilgerstätten im Heiligen Land zugänglich zu machen. Im Zeichen des Kreuzes kämpften sie gegen Muslime.

Luther, Zwingli und Co. – mit Pilgern nichts am Hut

Luther auf einem Gemälde.
Legende: Pilgern war nichts für ihn und die anderen Reformatoren: Martin Luther. Getty Images

Etwas tun, um besser in Gottes Gunst zu stehen – das ist das Prinzip des Pilgerns. Den Reformatoren war das zuwider. Ähnlich wie den Ablasshandel lehnten sie den Missbrauch des Pilgerns ab. Martin Luther wird nachgesagt, sich spöttisch über das Pilgern ins spanische Santiago geäussert zu haben: «Man weiss nicht, ob Sankt Jakob oder ein toter Hund daliegt.»

Auch die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin hielten nicht viel von der Pilger-Praxis; Calvin sah in der Reliquienverehrung gar einen «Götzendienst». In manchen reformierten Ländern stand das Pilgern zeitweise unter Strafe.

Modernisierung des Pilgerns

Jugendlichen tragen ein Kreuz.
Legende: Kein leichter Weg: Jugendliche pilgern nach Rom, um den Papst zu sehen. Getty Images

Die Reformation bekämpfte zwar das Pilgern, konnte es aber nicht abschaffen. Manche Historiker vertreten gar die These, der Gegenwind der Reformation habe manche erst recht motiviert, im Pilgern für ihren römisch-katholischen Glauben entschieden einzustehen.

Die römisch-katholische Kirche reformierte das Pilgern und denkt heutzutage nicht nur an Busse und Heilung von Krankheit, sondern an alles, was den Menschen guttut. Dennoch ist die Busse nach wie vor Teil der offiziellen Lehre.

Die Kirche führt auch ein Ranking an Pilgerorten: Fünf Pilgerdestinationen dürfen alle sieben Jahre ein heiliges Jahr begehen, in dem gemäss römisch-katholischer Lehre den Pilgern ein vollständiger Sündenerlass winkt: Jerusalem, Rom und gleich drei Orte in Spanien – die bekannte Stadt Santiago de Compostela sowie die unbekannteren Orte Toribio de Liébana und Caravaca.

«Ich bin dann mal weg»: Kerkeling mobilisiert die Massen

Hape Kerkeling im Porträt.
Legende: Er ging, um sich zu finden: Hape Kerkelings Reise inspirierte viele Deutsche zum Pilgern. Keystone

Leben wie vor 500 Jahren

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Legende: SRF / Oscar Alessio

Radio SRF 1 und «Schweiz aktuell» begeben sich diesen Sommer unter dem Titel «Leben vor 500 Jahren» auf eine Zeitreise ins Jahr 1517. Ralph Wicki pilgert vom 24. Juli bis am 4. August mit vier Hörern durch die Schweiz. «Schweiz aktuell» begleitet eine Bauernfamilie im 16. Jahrhundert – ein Living-History-Projekt mit Katharina Locher.

Der deutsche Entertainer Hape Kerkeling hat 2006 das Buch «Ich bin dann mal weg: Meine Reise auf dem Jakobsweg» veröffentlicht.

Darin reflektiert er seine Erfahrungen, die er als «Buddhist mit christlichem Überbau» auf dem Weg nach Santiago de Compostela machte. Nach Hörsturz und einer Operation wollte er über sein Leben nachdenken.

Das Buch wurde ein internationaler Beststeller und begeisterte auch viele fürs Pilgern, die mit der Kirche nichts am Hut haben. Direkt nach Erscheinen des Buches stieg die Zahl der deutschen Pilger um etwa 70 Prozent.

Während es bei Kerkeling nicht nur, aber auch um religiöse Fragen geht, stehen bei vielen anderen Pilgern Fragen der Selbstfindung, der Reflexion des eigenen Lebens und das Bedürfnis nach einer Auszeit, nach einem Neuanfang und neuen Perspektiven im Vordergrund.

Nicht alle pilgern asketisch, manche machen daraus einen Sport-Event auf dem Rennrad oder lassen sich vom einen Luxus-Hotel zum nächsten kutschieren.

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