Seine Vorträge waren stets ein Ereignis. Alle wollten hin. Er habe sich vor nichts gescheut. Er sang sogar vor, um etwas zu illustrieren. «Er war überhaupt nicht das, was man sich unter einem unnahbaren Professor der 60er-Jahre vorgestellt hat». So beschreibt die Historikerin Brigitt Flüeler Jakob Wyrsch.
Wyrsch war Psychiater, Schizophrenieforscher, Publizist, Schriftsteller – und zählte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Innerschweizer Kulturszene des 20. Jahrhunderts. Nur ging er über die Jahre vergessen, obwohl einst international bekannt.
Das wollen die Nidwaldner Historikerin Brigitt Flüeler und der Luzerner Regisseur Buschi Luginbühl ändern. Sie haben monatelang zu Wyrsch recherchiert und daraus eine musikalische Lesung entwickelt.
Tausendsassa und stets auf Trab
Bei ihren Recherchen im Staatsarchiv stiessen sie auf eine Fülle an Material. «Unglaublich, was dieser Mensch alles geschrieben hat», so Flüeler. Seine Enkelin habe ihr erzählt, Wyrsch hätte bis zu vier Schreiborte in seinem Haus gehabt. «An einem Ort hatte er das eine Manuskript in Arbeit, an einem anderen Ort ein anderes.»
Regisseur Buschi Luginbühl hat zudem in Wyrschs Nachlass Briefe und Gedichte durchgesehen. So sind sie auch auf Wyrschs Tagebücher gestossen. «Brigitt hat diese mitgenommen und den Sommer durch übersetzt, da sie noch in der altdeutschen Schrift geschrieben waren.» Die Tagebücher bilden den roten Faden für die musikalische Lesung.
Interessiert an der Seele des Menschen
Jakob Wyrsch stammte aus einer Nidwaldner Ärzte- und Landammännerfamilie und war als Chefarzt unter anderem in der psychiatrischen Klinik Waldau oder in St. Urban tätig.
«Schon als Jugendlicher hat er begonnen, sich zu hinterfragen, die Gesellschaft zu hinterfragen, die Strukturen zu hinterfragen. Die Seele des Menschen hat ihn unglaublich fasziniert. Es war seine Begabung, Menschen und ihre Leben intensiv verstehen zu wollen», sagt Brigitt Flüeler.
Der Mensch, dessen Welt und seine Umwelt standen im Zentrum seines wissenschaftlichen und literarischen Werks. So schrieb er neben Gedichten einen Roman und Porträts von Freunden und Stanser Originalen.
Kaum erstaunlich, schrieb ihm ein Fachkollege einst, dass – verglichen mit den kalten Gutachten anderer – seine immer Literatur seien.
Vom Psychiater zum Publizisten
Aus ihrer Recherche haben Flüeler und Luginbühl nun eine Lesung entwickelt, die Wyrsch als Psychiater und Schriftsteller, Privatmensch und Publizist von der Kindheit bis ins Alter zu fassen versucht.
«Reisen mit Santiago» heisst der Abend. Santiago, weil Wyrschs Frau Spanierin war und er nahe Santiago erstmal spanischen Boden betreten habe.
Jakob Wyrsch ist ein Menschenversteher, Lebenskünstler und Reisender im Kopf und der Realität zwischen Nidwalden und der weiten Welt. Es lohnt sich, ihn aus der Vergessenheit zu holen.