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Priester sein in Zeiten der Kritik: «Verunsicherung ist gross»
Aus Echo der Zeit vom 24.10.2023. Bild: KEYSTONE/Monika Flueckiger
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Plädoyer gegen Pflichtzölibat «Als Priester bin ich auch ein sexueller Mensch»

Marcel von Holzen ist römisch-katholischer Priester – und steht zu seiner Sexualität. Nicht, weil er besonders progressiv ist, sondern weil er die Realität der Menschen höher gewichtet als das körperfeindliche Bild vom enthaltsamen Priester.

Seit rund 25 Jahren ist er Pfarrer im Raum Zürich: Marcel von Holzen ist gerne für die Menschen da, von der Wiege bis zur Bahre. Insbesondere Menschen am Ende ihres Lebens begleiten zu können, liegt dem 52-Jährigen am Herzen: «Da geht es um existenzielle Fragen. Die bewegen mich immer wieder neu.»

Auch die Sakramente, «die heiligen Zeichen», seien ihm wichtig: «Ich möchte auf das Unsichtbare hinweisen, auf etwas, das nicht ‹verzweckt› werden kann. Es ist wunderbar, ganz für dieses Heilige da zu sein.»

Ein Lachender Mann mit Bart, Brille und Sakko. Im Hintergrund eine Spruchtafel «Ich bin der ich bin da»
Legende: Pfarrer Marcel von Holzen stellt den Pflichtzölibat in Frage. Sexualität sei schliesslich ein Geschenk Gottes. Marcel von Holzen

Gottesdienst zu feiern, habe etwas Mystisches, sagt von Holzen. Hier liebe er die Tradition. Sonst bezeichnet er sich als liberalen und vom Humanismus geprägten Mensch.

Ständige Verfügbarkeit

Sein Beruf sei anstrengend, erzählt von Holzen: «Immer für die Seelsorge verfügbar zu sein, braucht viel.» Manchmal habe er wochenlang fast keinen Tag und Abend frei. Freunde oder Bekannte seien immer wieder enttäuscht, wenn er den Konzertbesuch oder die Wanderung absagt.

Auf Umwegen zum Priester

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Legende: Seit 25 Jahren arbeitet Marcel von Holzen als Pfarrer im Raum Zürich. Ökumene und Offenheit sind ihm bei seinem Beruf wichtig. Marcel von Holzen

Marcel von Holzen wurde 1971 geboren. Er wollte schon ab der vierten Klasse Priester werden, doch seine Eltern beharrten zuerst auf einem weltlichen Beruf.

Nach einer Lehre als Hochbauzeichner und dem Militärdienst studierte er als Quereinsteiger Theologie in Chur. Seit 1998 ist er als Priester tätig. Zudem war er von 2014 bis 2022 Dekan für 23 Zürcher Gemeinden.

Es ist für den Pfarrer eine Herausforderung, Zeit für Freundschaften zu finden. Wie viel schwieriger wäre es also, auch für eine Familie da zu sein? «In diesem Sinn ist das Zölibat ein Stück weit sinnvoll», findet von Holzen. Doch die Frage der Verfügbarkeit sei eine andere als jene nach der Sexualität.

Schliesslich sei diese von Gott geschenkt. «Daher bin ich verpflichtet, gut damit umzugehen», ist der Pfarrer überzeugt. Das körperfeindliche Bild eines enthaltsamen Priesters sei weder realistisch noch biblisch, geschweige denn menschlich.

Sexualität ins Leben integrieren

Für Marcel von Holzen gehöre das Pflichtzölibat abgeschafft. Man solle sich freiwillig entscheiden können. «Ich habe einen evangelischen Kollegen, der schon immer zölibatär gelebt hat. Für ihn stimmt diese Lebensweise bis heute», erzählt er.

Von Holzen fühlt sich dieser frei gewählten Lebensform zwar verpflichtet, differenziert aber: «Als Priester bin ich auch ein sexueller Mensch und muss Wege finden, wie ich meine Sexualität ins Leben integrieren kann.» Ganz so, wie es auch Singles tun würden, wenn sie gut leben wollen.

Keine Scheu vor Kritik

Marcel von Holzen steht zu seiner Sexualität und stellt fest: «Ich bin glücklich damit. Sie ist kein zentraler Teil meines Lebens, aber einer, der mein Leben schön und lebenswert macht.» Damit hinterfragt der Priester die Auslegung der offiziellen Kirchenlehre. Mögliche Kritik nimmt er in Kauf – und könne sie nachvollziehen.

Wir sollten es dem Menschen überlassen, wie er sein Intimleben gestaltet.
Autor: Marcel von Holzen Pfarrer

«Aber ich versuche, die kirchliche Lehre so zu interpretieren, dass ich ihr einen Dienst erweise. Sonst kann ich es gleich sein lassen, wenn ich nur buchstabengetreu repetiere, was in Dokumenten steht», gibt von Holzen zu Bedenken.

Eine kurze Geschichte des Zölibats

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Lange Zeit waren Priester verheiratet und hatten Kinder. Der Zölibat wurde erst im Jahr 1139 eingeführt.

Gründe dafür gab es verschiedene, insbesondere wirtschaftliche: Starb ein Priester, musste die Kirche für Witwe und Kinder aufkommen. Zudem erbten diese Immobilen oder Land. Die kirchliche Obrigkeit wollte den Kirchenbesitz nicht teilen.

Der Zölibat stiess schon damals auf Widerstand, doch begrüssten auch einfache Gläubige einen «moralisch reinen» Priester. Allerdings sah die Realität anders aus: Es gab versteckte Liebschaften und unzählige Priesterkinder.

Bis ins 20. Jahrhundert sei der Zölibat in der römisch-katholischen Kirche keine Selbstverständlichkeit gewesen, sagt etwa der renommierte Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Daher sei es auch kein Bruch mit der Tradition, würde der Pflichtzölibat abgeschafft werden.

Keuschheit bedeutet für ihn nicht nur, enthaltsam zu leben, sondern einen guten und respektvollen Umgang zu pflegen. Ganz so, wie das Wort noch im Mittelhochdeutschen verwendet wurde und so viel wie «sittsam» oder «bewusst» bedeutete. «Das gilt für Sex in der Ehe, aber auch als Single», betont er.

Über die weitverbreitete Doppelmoral in der römisch-katholischen Kirche könne er nur den Kopf schütteln. Sein Wunsch an die Kirchenverantwortlichen: «Dass man es dem Menschen überlässt, wie er sein Intimleben gestaltet. Dann könnte man ein Problem weniger mit sich herumtragen und sich den wirklich grossen Herausforderungen widmen.»

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Radio SRF 4 News, Echo der Zeit, 24.10.2023, 18:00 Uhr

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