Ronan Farrow weiss, wie man Spannung erzeugt. Der US-amerikanische Journalist publizierte im Oktober 2017 eine aufsehenerregende Story über Missbrauchsvorwürfe gegen den mittlerweile verurteilten Filmproduzenten Harvey Weinstein im Magazin «The New Yorker». Fast zeitgleich berichteten auch Jodi Kantor und Meghan Twohey in der «New York Times» darüber.
Startschuss für #MeToo
In beiden Artikeln erhoben Opfer von Weinstein ihre Anschuldigungen mit vollem Namen und sagten öffentlich gegen den Filmproduzenten aus. Obwohl sie Geheimhaltungsvereinbarungen und Schweigeklauseln unterzeichnet hatten. «Non-disclosure agreements» verpflichteten sie gegen Geld zum Schweigen.
Über seine Recherchen für diesen Artikel schrieb Ronan Farrow ausserdem ein Buch. Und kurz vor Beginn des Prozesses gegen Harvey Weinstein begann er, einen Podcast zu publizieren.
« The Catch and Kill », produziert von Pineapple Street, ist allerdings mehr als bloss eine weitere Publikation des Vielschreibers Farrow. Der Podcast enthält zahlreiche Interviews mit Frauen, die Weinsteins Opfer wurden. Sie erhalten eine Stimme. Wortwörtlich, denn sie sind zu hören.
Erschütternde Aussagen
Die Frauen berichten nicht nur detailliert von den Übergriffen, sondern auch, warum sie oft lange schwiegen.
Rowena Chiu zum Beispiel war in den 1990er-Jahren Weinsteins Assistentin und wurde bald Opfer seiner sexuellen Übergriffe. Sie berichtet im Podcast von ihrer Scham, darüber zu sprechen und der Angst, sich nicht deutlich genug gewehrt zu haben.
Sier erzählt von ihren vergeblichen Versuchen, sich nach ihrer Kündigung mit Hilfe von Anwälten zu wehren. Und sie spricht über den massiven Druck, der von Weinsteins Anwälten ausging, die Schweigeklausel zu unterzeichnen.
Eindrücklich sprechen Chiu und andere Frauen über die Niederlage, die das Unterzeichnen der Schweigeklausel für sie darstellte. Sie sahen keinen anderen Ausweg.
Das lange Schweigen
20 Jahre lang hielt sich Rowena Chiu an die Schweigeklausel. Sie schwieg weiter, auch als Farrow, Kantor und Twohey für ihre Artikel recherchierten, die im Oktober 2017 erschienen.
Erst die #MeToo-Bewegung gab Rowena Chiu und anderen den Mut und die Sicherheit, ihr Schweigen zu brechen. Und mit Farrow im Interview über ihre komplexen Gründe zu sprechen.
«The Catch and Kill» hält noch weitere Erkenntnisse bereit: eine Audioaufnahme etwa, die ein Opfer heimlich machte und in der Harvey Weinstein seine Übergriffe zugibt. Ronan Farrow zeigt ausserdem, wie viele Menschen nötig waren, um das System des Schweigens auszuhebeln und den Missbrauchsskandal publik zu machen.
Heldengeschichte der #MeToo-Bewegung
Ronan Farrow ist eine schillernde Figur. Mangelndes Selbstbewusstsein gehört nicht zu den Problemen des Sohns von Woody Allen und Mia Farrow.
Mit seinem Podcast «The Catch and Kill» schreibt er auch das Heldenepos der #MeToo-Bewegung, singt ein Loblied auf die freie Presse und auf sich selbst. Deutlich ist aber immer auch: Ohne den Mut der Opfer zu sprechen, gibt es keine Story. Zeit, ihnen zuzuhören.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 26.2.2020, 17:10 Uhr.