Vertrauen hat im politischen Machtkampf Konjunktur. «Vertraut dem Volk!», fordern die einen. «Misstraut den Eliten!», warnen die andern.
Dabei hat der Begriff des Vertrauens in der Politik nichts verloren, sagt der Philosoph Christian Budnik.
SRF: Ob es um den Brexit in Grossbritannien, die Wahlresultate in Polen oder den Aufstieg der AfD in Deutschland geht – oft ist die Rede von einer «Vertrauenskrise». Zu Recht?
Christian Budnik: Ja und nein. Ja, weil teilweise minimale Standards der Aufrichtigkeit untergraben werden und mit blanken Lügen Politik gemacht wird. Fehlt eine vernünftige Auseinandersetzung mit Argumenten, wird der politische Diskurs sabotiert und das Vertrauen in politische Institutionen erschüttert. Die Rede von einer «Vertrauenskrise» halte ich in diesem Kontext allerdings für wenig hilfreich.
Warum?
In der Politik geht es hauptsächlich um Verlässlichkeit: Setzt eine Politikerin um, was sie versprochen hat? Taugen ihre Rezepte?
Politiker haben kein persönliches Verhältnis zu ihren Wählern – auch wenn sie so tun.
Vertrauen hingegen ist reichhaltiger und hat seinen Platz in persönlichen Beziehungen: Wem wir vertrauen, den messen wir nicht nur daran, ob er seine Versprechen hält und keine Lügen erzählt, sondern auch daran, ob er uns versteht und es gut mit uns meint.
Und Politikerinnen und Politiker meinen es nicht gut mit uns?
Sie haben kein persönliches Verhältnis zu ihren Wählern – auch wenn sie so tun. Und Wähler haben keine persönliche Beziehung zu den Gewählten, auch wenn sie sich manchmal jemanden wünschen, der sie beschützt.
Wenn man von Vertrauen redet, lässt sich der politische Diskurs damit bestens personalisieren und emotionalisieren: «Die Gegner haben uns verraten, wir können der Elite nicht mehr trauen. Vertraut stattdessen uns!»
Egal ob in den USA, in Ungarn oder in Polen: Es wird immer damit operiert, dass die Interessen des Volkes verraten und es hintergangen wurde. Verschwörungstheorien passen bestens in dieses Klima.
Wenn nicht mit Vertrauen: Womit sollen Politiker stattdessen werben?
Mit Verlässlichkeit. Und damit, dass sie den demokratisch legitimierten Instrumenten der Machtbegrenzung Respekt zollen: regelmässigen Wahlen, unabhängigen Gerichten, der Gewaltentrennung. Politiker brauchen klare Regeln und klare Aufträge, nicht unser Vertrauen.
Der Begriff des Vertrauens wird aktuell auch in einem anderen Zusammenhang diskutiert: Die EU-Kommission hat im vergangenen Frühling Richtlinien für eine «vertrauenswürdige künstliche Intelligenz» publiziert. Kann man denn einer KI vertrauen?
Wenn man Vertrauen an persönliche Beziehungen knüpft, natürlich nicht. Vertrauen hat aber immer eine kognitive und eine emotionale Seite. Die kognitive Seite ist die Verlässlichkeit und da schneidet KI zuweilen sogar besser ab als der Mensch. KI kann etwa manchmal verlässlichere Diagnosen stellen.
Emotional jedoch ist KI bis anhin eine Nullnummer. Wir können uns nicht auf sie verlassen in dem Sinn, dass sie Empathie an den Tag legt und sich im Zweifelsfall zu unseren Gunsten entscheidet.
Warum spricht das Papier der EU-Kommission trotzdem von «vertrauenswürdiger KI»?
Der Vertrauensdiskurs wird oft eingesetzt, um Vertrauen herzustellen. Das hat allerdings etwas Paradoxes. Denn wir können nicht auf Knopfdruck vertrauen.
Sagt jemand ‹Vertrau mir!›, ist das meist Anlass, um misstrauisch zu werden.
Vertrauen ist etwas, das über die Zeit wächst. Etwas, das man nicht voneinander verlangen, sondern einander nur schenken kann. Sagt jemand «Vertrau mir!», ist das meist Anlass, um misstrauisch zu werden.
Das Gespräch führte Barbara Bleisch.