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Politische Begriffe «Wer liberal sein will, kann sich heutzutage nicht zurücklehnen»

Was bedeuten Begriffe wie liberal oder konservativ in der heutigen Zeit? Ein Politikwissenschaftler im Gespräch.

Liberal, konservativ, neoliberal oder radikal: Diese Begriffe werden grosszügig verwendet, geht es um politische Bewegungen, Parteien oder auch Medienhäuser. Was die Zuschreibungen heute genau bedeuten, das ist in vielen Fällen aber nicht klar.

Politikwissenschaftler Thomas Biebricher grenzt die Begriffe voneinander ab.

Thomas Biebricher

Politikwissenschaflter

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Als Politikwissenschaftler forscht Thomas Biebricher an der Universität Frankfurt über Konservatismus und Neoliberalismus. Er ist unter anderem Autor von «Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus» (Matthes & Seitz, Berlin 2018) und des Einführungswerks «Neoliberalismus. Zur Einführung» (Junius, Hamburg 2015).

Was bedeutet «konservativ»?

Thomas Biebricher: Der Konservative verkörpert die Haltung des Bewahrens. Dabei geht es um Stabilität und um grosse Vorbehalte gegen Utopien. Wer konservativ ist, der geht davon aus, dass die Menschen zum jeweiligen Zeitpunkt nicht unbedingt friedlich und wohlwollend sind.

Es gibt noch zwei weitere Charakteristika: Nostalgie und Pragmatismus. Man möchte einen Status quo aufrechterhalten, selbst wenn man die Veränderungen zu diesem hin immer bekämpft hat. Was bewahrenswert ist, ergibt sich für Konservative meist aus dem Moment heraus.

Als Gegenentwurf zu «konservativ» hört man oft «liberal». Was bedeutet das in der Abgrenzung?

Dieser Begriff ist für seine Vieldeutigkeit berüchtigt und wird von verschiedenen Gruppierungen für sich in Anspruch genommen.

Wer liberal sein will, kann sich jetzt nicht zurücklehnen.

Ich würde sagen, der Konsens bei einem heutigen Liberalismus ist die Freiheit und Autonomie des einzelnen. Also die Vorstellung, dass die Politik allen einen eigenen Lebensentwurf ermöglichen sollte.

Was ist der ursprüngliche Sinn von «liberal»?

Das ursprüngliche «Liberale Projekt» entstand Ende des 18. Jahrhunderts, obwohl es damals noch nicht so genannt wurde. Da ging es um die Überwindung eines Staates, der für alles zuständig sein will.

Es ging also um individuelle Selbstbestimmung. Vereinfacht gesagt um Religionsfreiheit, Freiheit der Lebensführung oder auch Berufswahl.

Also um Werte, die heute selbstverständlich sind?

Ich glaube, dass diese heute wieder umstritten sind. Wir sind mit politischen Bewegungen konfrontiert, die sich ausdrücklich gegen liberale Vorstellungen wie der Diversität von Lebensentwürfen wenden. Wenn wir liberal sein wollen, können wir uns nicht beruhigt zurücklehnen.

Sind wir dann bei den Konservativen angelangt?

Mit Blick auf die AfD zum Beispiel würde ich einen klaren Unterschied machen zwischen einem Konservativen und einem AfD-Mitglied. Die Konservativen wollen bewahren, haben aber auch die Bereitschaft, sich mit Veränderung auszusöhnen.

Mit dem Begriff ‹neoliberal› wird meist Kritik an einem zerstörerischen Kapitalismus geübt.

Bei der AfD hingegen beobachte ich nicht, dass sie einen Status quo aufrechterhalten möchten. Sie wollen eine neue Ordnung. Das hat etwas Radikales, was von Konservativen, wie ich sie verstehe, nicht geteilt würde.

Häufig liest man auch die Bezeichnung «neoliberal». Was bedeutet das?

Mit dem Begriff wird meist Kritik an einem zerstörerischen Kapitalismus geübt. Das ist auch der Grund, weshalb der Begriff negativ besetzt ist. Niemand würde sich selbst heute freiwillig als «neoliberal» bezeichnen.

Viele Begriffe sind unscharf oder missverständlich. Haben sie sich abgenutzt?

Ich glaube nicht. Die Begriffe ermöglichen immer noch eine Orientierung. Sie helfen, neue Bewegungen zu analysieren.

Die Fragen stellte Susanne Schmugge.

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