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Polizei im Dauerstress Feind und Helfer – Frankreichs Polizei in Zeiten des Terrors

Nach den Terroranschlägen in Paris ist die Belastung der französischen Polizisten angestiegen. Gleichzeitig wird die Kritik am Vorgehen der Polizei lauter. Die Folge: Polizisten leiden unter Depressionen, Burn-out und landen in der Heilanstalt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Seit den Terroranschlägen von 2015 bildet Frankreich mehr und rascher Polizisten aus.
  • Polizeibeamte sind durch die Attentate traumatisiert oder erleben ein Burn-out.
  • Direkt nach Anschlägen erfährt die französische Polizei viel Sympathie. Sonst steht sie oft in der Kritik, unverhältnismässig Gewalt anzuwenden.

Die Reaktion auf die Attentate der letzten Jahre war überwältigend: 35'000 junge Franzosen haben sich 2016 bei der Polizei beworben. Etwa 5000 wurden zusätzlich eingestellt.

Polizisten in der Ausbildung
Legende: Die Ausbildung in der nationalen Polizeischule wurde von 12 auf 10 Monate verkürzt. SRF/Bettina Kaps

Um die vielen neuen Sicherheitskräfte auszubilden und zu trainieren, wurde die Ausbildung vorübergehend verkürzt von zwölf auf zehn Monate. In dieser Zeit werden die Polizeischüler auch mit Schreckensszenarien vertraut gemacht.

Therapie für Traumatisierte

Der harte Alltag holt die Rekruten nach Abschluss der Ausbildung schnell ein. Lebensbedrohliche Erlebnisse, körperliche oder seelische Verwundungen, eine permanente Anspannung und viele Überstunden: Durch die dauerhaft angespannte Lage kommen viele Polizeibeamte an ihre Grenzen.

Manche betäuben sich mit Alkohol oder Drogen, Depressionen und Erschöpfungssyndrome nehmen zu. Die Selbstmordrate unter Polizisten ist erschreckend hoch: Zwischen 2004 und 2014 nahmen sich laut «France Culture» und anderen Medien 478 Polizisten das Leben.

Für staatliche Sicherheitskräfte, die unter Sucht oder Burn-out leiden, wurde eigens eine Heilanstalt geschaffen. Sie heisst «Le Courbat» und liegt völlig abgelegen auf dem Land, eine knappe Autostunde von der Stadt Tours entfernt.

Zwei angehende Polizisten tragen Shirts mit dem Aufdruck «Bürger» und «Polizist».
Legende: «Bürger» und «Polizist»: In der Ausbildung zwei Rollen, im Alltag ein schwieriges Verhältnis. SRF/Bettina Kaps

Die Anstalt kann bis zu 80 Patienten aufnehmen, sie werden dort jeweils zwei Monate lang behandelt. Neuerdings gibt es dort auch spezielle Therapien für Sicherheitskräfte, die von Attentaten traumatisiert sind.

Das Erlebte bleibt

Gwen ist bereits seit einem Monat in «Le Courbat». Sie kommt aus der Alpenstadt Chambéry, wo sie seit 18 Jahren als Streifenpolizistin arbeitet. Der Polizistenalltag hat sie krank gemacht. «Wir sehen die Probleme anderer Menschen und das ist oft unerträglich», sagt die 44-Jährige.

«Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder und noch viel Schlimmeres. Ausserdem Unfallopfer, Tote, Schwerverletzte. Diese Erlebnisse haben sich in mein Leben eingefressen. Sie haben bei mir Stress und Angst ausgelöst.»

«Die Polizei mordet!»

Im Aufenthaltsraum der Heilanstalt hängt ein grosses Transparent mit der Aufschrift: «Ich bin Charlie. Merci an Polizisten und Gendarmen.» Es erinnert an die Stimmung nach den Attentaten gegen die Satirezeitung «Charlie Hebdo» und einen jüdischen Supermarkt im Januar 2015.

Bei Grossdemonstrationen haben die Franzosen ihren Sicherheitskräften damals Dank und Sympathie signalisiert. Das ist lange vorbei. Inzwischen haben sich die Fronten wieder verhärtet und bei Kundgebungen liest man öfter: «Police assassin», «die Polizei mordet», und «Alle hassen die Polizei».

Eine Übung in der Polizeiausbildung.
Legende: Polizisten üben in der Ausbildung auch für den alltäglich gewordenen Ausnahmefall: einen Terroranschlag. SRF/Bettina Kaps

Hartgummi schädigt das Image

Das Vertrauen der Bevölkerung ist erschüttert. Viele Franzosen betrachten Polizisten nicht als Schutzmänner, sondern als Feinde: Weil sie gezielte Personenkontrollen aufgrund von ethnischen Merkmalen durchführen. Weil sie aggressiv auftreten und rasch zu gefährlichen Waffen wie Elektroschock- und Hartgummigeschoss-Pistole greifen, die in vielen Ländern verboten sind. Weil brutale Festnahme-Techniken tödliche Folgen haben.

Polizisten gehen oft straffrei aus

Der französische Verein «Aktion der Christen für die Abschaffung von Folter» (ACAT) hat ermittelt, dass in den vergangenen Jahren durchschnittlich jeden Monat ein Mensch durch Polizisten oder Gendarmen zu Tode kam.

In einem gut dokumentierten Bericht kritisiert der Verein, dass es Opfern oder ihren Familien ungeheuer schwer gemacht wird, auch nur einen Prozess zu erwirken. Wenn es dann doch mal ein Verfahren gibt, kommen die Täter fast immer ungeschoren davon.

Hunderte demonstrieren für «Gerechtigkeit für Ali Ziri» - ein Fall von tödlicher Polizeigewalt, den Acat aufrollte.
Legende: Gerechtigkeit für Ali Ziri, fordern hunderte Demonstranten. Ziri starb 2009 nach einer Festnahme. SRF/Bettina Kaps

Vertrauensbasis vernachlässigt

Angehörige von Polizeiopfern haben inzwischen Aktionsgruppen gegründet. Sie organisieren Demonstrationen und neuerdings auch Fortbildungen gegen Polizeigewalt.

Viele Polizisten bedauern ebenfalls, dass der Staat vorrangig auf Sicherheitspolitik setzt. Die Kontaktpflege mit der Bevölkerung werde vernachlässigt. Wissenschaftlern zufolge ist das Vertrauen der französischen Bevölkerung in ihre Polizei geringer als in den meisten europäischen Ländern.

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