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Ronald Reagan steht am Sprechpult.
Legende: Die Wahl von Ronald Reagan zum Gouverneur von Kalifornien war Ausdruck einer Rückkehr zu konservativen Werten. Keystone

Pop-Historie Auf Spielverderber Reagan folgt Trump

Wenn der Historiker Jon Savage über Popmusik schreibt, entsteht Sozialgeschichte. Sein Buch «1966: The Year the Decade Exploded» sieht die Wahl Ronald Reagans als Auftakt zum politischen Schlag gegen die Zügellosigkeit der Protestkultur. 50 Jahre später wiederholt sich die Geschichte mit Trump.

Mit zwei Büchern avancierte der Brite Jon Savage zu einem der bedeutendsten Pop-Historiker unserer Zeit. «England's Dreaming – Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock», seine Chronik der britischen Punk-Geschichte, und «Teenage – Erfindung der Jugend», in dem er die Entstehung der Popkultur nachzeichnet. Sein neuestes Buch «1966: The Year the Decade Exploded» widmet sich dem Jahr der Verdichtung und Beschleunigung.

Savage schreibt eine Chronik der musikalischen Ereignisse, aber nimmt auch gesellschaftliche, politische und mediale Veränderungen ins Visier. Im November 1966 werden die Wechselwirkungen zwischen Pop und Politik besonders offenkundig. In den USA passieren Dinge, die uns 50 Jahre später auf frappierende bis fatale Weise bekannt vorkommen.

Kalifornien erobert London

Buchhinweise

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  • Jon Savage: «1966: The Year the Decade Exploded». Faber & Faber, 2015.
  • «Teenage: die Erfindung der Jugend». Campus, 2008.
  • «England's Dreaming: Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock». Tiamat, 2001.

In der ersten Hälfte der 1960er-Jahre ist «Swinging London» die Pop-Hauptstadt der Welt. Das ändert sich 1966. Die Beach Boys, Mamas and the Papas, Monkees und die Band Love erschüttern die Hegemonie der Beatles, Stones und anderer britischer Bands. «Kalifornien erobert London», schreibt Jon Savage.

Plötzlich gibt Los Angeles den Ton an. Rund um den kalifornischen Sunset Strip entsteht eine Subkultur, die zum Magnet wird für junge Leute aus aller Welt. Hier gibt es die beste Musik, Drogen, freie Liebe, freien Sex – so das Versprechen. Auf der Suche nach einem aufregenderen Leben pilgern Tausende nach L.A. und bevölkern die neuen Rock-Clubs.

Die wachsende Protestbewegung gegen den Krieg in Vietnam, der Kampf der Bürgerrechtsbewegung gegen Rassismus und der aufkeimende neue Feminismus im Zeichen sexueller Befreiung und Selbstbestimmung – rund um den Sunset Strip mischen sich Szenen, Phänomene und Initiativen zu einem explosiven Mix, angefeuert von der neuen Rockmusik.

Riot auf dem Sunset Strip

Im Herbst 1966 eskaliert die Situation. In Los Angeles geht die Polizei mit grosser Härte gegen die Teenager-Subkultur rund um den Sunset Strip vor. Mit Razzien werden die Jugendlichen drangsaliert, das Versammlungsrecht wird verschärft, Ausgangssperren verhängt.

Die Autoritäten schlagen zurück, die Teenager wehren sich gegen ihre Vertreibung aus dem Paradies. Den Soundtrack zur Lage liefert die kalifornische Garagen-Band The Standells im Frühjahr 1967: «Ich gehe auf den Strip heut' Nacht, zu Hause bleiben ist nicht mein Trip heut' Nacht,» heisst es in « Riot on Sunset Strip ». «Es war immer so schön auf der Strasse, die Lichter der Grossstadt, aber jetzt überall Polizeiautos, der Sound der Sirenen.»

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Déjà-vu: Von Ronald zu Donald

Als Initialzündung für die polizeiliche Gewalt und die Zuspitzung der Konflikte sieht Jon Savage ein Ereignis, das mit Pop nichts zu tun hat. «Anfang November 1966 wurde Ronald Reagan zum Gouverneur von Kalifornien gewählt. Damit begann ein rechter Backlash in der Gesellschaft, ähnliches erleben wir jetzt mit Donald Trump», so Jon Savage im Interview.

Er sieht hier nicht nur einen Rückschlag gegen die Hippie-Kultur in Kalifornien, sondern auch einen sogenannten ‹White Backlash›.

«Viele Weisse dachten, dass die Schwarzen jetzt zu viele Rechte hätten. Die Angriffe auf die Bürgerrechtsbewegung, vor allem auf Martin Luther King, wurden immer brutaler. Die Wahl von Reagan war ein Signal für die sogenannte Wiederauferstehung der Republikaner. Es war das Ende der Bürgerrechtsgesetzgebung von Präsident Johnson und das Ende von Johnsons Idee der ‹Great Society›, und das war eine Idee einer integrierten, inklusiven Gesellschaft.»

Eine Momentaufnahme aus dem Herbst 1966. Rund 50 Jahre später folgt Donald auf Ronald.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 28.11.2016, 17:15 Uhr.

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