Anfang Dezember bot sich in Riad, der Hauptstadt des Königreichs Saudi-Arabien, ein ungewöhnlicher Anblick: Hunderttausende junge Frauen und Männer tanzten am viertägigen MDLBeast-Soundstorm-Festival zu den Klängen des französischen DJs David Guetta und anderer Star-DJs.
Während andere Länder im Nahen Osten die westliche Popkultur fernzuhalten versuchen, fährt Saudi-Arabien einen anderen Kurs. In den letzten drei Jahren fanden etwa Konzerte von Pop-Diva Mariah Carey oder Rapper Sean Paul statt. Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons erklärt, woher diese Entwicklung kommt und was von ihr zu halten ist.
SRF: Wie offen ist die saudi-arabische Kulturlandschaft?
Sebastian Sons: Mittlerweile kann man in Saudi-Arabien praktisch jede Form von Kultur konsumieren. So war etwa die Wiedereröffnung der Kinos vor einigen Jahren bei der Bevölkerung sehr populär. Inzwischen werden auch amerikanische Filme gezeigt. Das sind Indikatoren dafür, dass man sich auch offiziell der westlichen Popkultur öffnet.
Was ist der Grund für diese Öffnung?
Sie geht vor allem auf Kronprinz Mohammed bin Salman zurück. Unter ihm hat in den letzten Jahren neben einer kulturellen auch eine gesellschaftliche Öffnung stattgefunden. Ziel ist dabei, der jungen Bevölkerung neue Chancen und Möglichkeiten im Alltag zu bieten. Man darf nicht vergessen: 70 Prozent der Menschen sind unter 30.
Welche politischen Absichten hegt Kronprinz Mohammed bin Salman mit seiner Kulturförderung?
Mit seiner sogenannten Vision 2030 möchte er nach eigener Angabe ein neues Saudi-Arabien schaffen und das Land in die Moderne führen. Dabei spielt die Kultur eine wichtige Rolle. Natürlich gab es bereits zuvor Kultur in Saudi-Arabien. Doch es ist das erste Mal, dass die Kultur tatsächlich politisch gefördert wird.
Es geht dem Kronprinzen darum, seine Legitimation zu bewahren.
Das Projekt spielt eine bedeutsame Rolle im saudischen Nationalismus, den der Kronprinz propagiert. Es geht ihm darum, seine Legitimation zu bewahren. Das tut er, indem er vor allem Politik für junge Menschen macht.
In den letzten Tagen hat das Land zum ersten Mal eine Strategie zur Förderung der Musikindustrie vorgelegt. Wozu?
Die Musikindustrie soll Bestandteil der saudischen Wirtschaft werden. Geplant ist, dass das Musikbusiness etwa ein Prozent zum saudischen BIP beitragen soll. Bis 2030 sollen 65’000 Jobs geschaffen werden. Der Grund dafür ist, dass Saudi-Arabien schwerwiegende wirtschaftliche Probleme hat. Knapp 30 Prozent der jungen Menschen sind arbeitslos. Das soll sich ändern.
Gibt es auch Widerstände gegen den kulturellen Ausbau?
Es gibt weiterhin eine grosse konservative Bevölkerung in Saudi-Arabien. Im religiösen Alltag, dem Wahhabismus, ist Musik und Tanz verpönt. Deshalb existieren grosse Gräben innerhalb der Gesellschaft. Es wird sich zeigen, wie weit diese Öffnung gehen kann und ob es nicht ab einem bestimmten Punkt Widerstand von traditionellen Kräften geben könnte.
Bedeutet das, dass sich Kulturschaffende in Saudi-Arabien auch kritisch äussern dürfen?
Solange man sich mit Themen beschäftigt, die das staatliche Narrativ abbilden, ist das Ganze gewollt. Dazu zählen etwa die Gleichberechtigung der Frau oder Umweltprobleme. Kritik ist also erwünscht, wenn sie die Missstände anprangert, die auch von der Politik als solche benannt wurden.
Das Regime würde gerne den Eindruck vermitteln, Saudi-Arabien sei extrem liberal.
Das Königshaus, der Kronprinz und seine Politik dürfen dagegen weder direkt noch indirekt kritisiert werden. Es gibt also Tabus und rote Linien. Dessen muss man sich bewusst sein. Ansonsten tappt man in die Falle des Regimes. Das würde ja gerne den Eindruck vermitteln, Saudi-Arabien sei extrem liberal geworden. Dem ist nicht so.