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Eine schwangere Frau sitzt auf einem Bett und hält ihren Bauch.
Legende: Tests oder auf das Bauchgefühl hören? Für unsere Autorin war der Fall klar. Getty Images / Lauren Bates

Pränatale Diagnostik Und wenn mein Kind behindert ist?

Wer heute schwanger ist, kann sein Baby im Bauch durchtesten lassen. Unsere Autorin wollte vor 25 Jahren genau Bescheid wissen. Dann entschied sie sich für das Gegenteil.

Schon klar: Mein Bauch gehört mir. Ich wollte möglichst viel wissen, alles richtig machen und die Kontrolle nicht verlieren. Vor 25 Jahren wurde ich zum ersten Mal schwanger.

Der Arzt fragte, ob ich zusätzlich zum Ultraschall nach der 12. Woche einen unsicheren Bluttest machen wollte. Je nach Befund müsste eine invasive Untersuchung folgen. Eine Fruchtwasseruntersuchung zum Beispiel – mit entsprechenden Risiken für das Embryo.

Ultraschall ja, Bluttest nein

Eine Blutentnahme war ungefährlich. Gefährlich für mich war ihr Potenzial: Sie könnte mich zu weitergehenden Tests führen. Und vielleicht würde irgendwann eine viel grundsätzlichere Entscheidung anstehen: Ob zum Beispiel aufgrund einer schweren, vielleicht lebensbedrohlichen Behinderung eine Abtreibung sinnvoll sei.

Mein Mann und ich zogen die Bremse: Ultraschall ja, Bluttest nein. Wir wollten nur beschränkt informiert sein. Auch das Geschlecht des Kindes wollten wir nicht wissen, obwohl es uns der Arzt gleich anbot: «Wollen Sie es wissen? Man sieht’s grad so schön!», sagte er mit dem Ultraschallkopf an meinem Bauch. Wir wollten lieber nicht.

Fast alles ist möglich

Wie viel schwieriger ist es seither geworden, schwanger zu sein! Schon in den ersten zwölf Wochen stehen viele Tests im Angebot, darunter ein Ersttrimester-Screening (Messung der Nackenfalte via Ultraschall und einfacher Bluttest) sowie der sogenannte NIPT (Non-Invasive Pränataldiagnostik-Test), der die Chromosomen auf Genveränderungen untersucht.

Ein Frauenarm, von dem Blut genommen wird.
Legende: Ein Bluttest ist eigentlich ungefährlich. Gefählich sein kann aber sein Potenzial. Getty Images / Ashish Agarwal / EyeEm

Es ist also im ersten Drittel der Schwangerschaft mittlerweile möglich, auf alle drei Trisomien (Trisomie 21, 18 oder 13) zu untersuchen. Die Treffsicherheit der Analysen ist hoch. Und für einen Abbruch der Schwangerschaft kann sich die Frau je nach Resultat noch innerhalb der gesetzlichen Frist frei entscheiden, so wie es die Fristenlösung vorsieht. Der NIPT-Test legt auch das Geschlecht des Embryos offen.

Theoretisch kann ich also vor Ablauf der zwölf Schwangerschaftswochen erfahren, ob mein Kind eine Trisomie hat und ob es Mädchen oder Junge ist.

Gesetzliche Bestimmungen

Andrea Büchler, Juristin und Präsidentin der Nationalen Ethikkommission für Humanmedizin NEK, erklärt: «Das Geschlecht ist ein Nebenbefund des NIPT-Tests. Die Information über das Geschlecht darf nach neuen gesetzlichen Bestimmungen den Eltern vor Ablauf der 12-Wochenfrist nicht mitgeteilt werden. Und auch danach nicht, wenn die Ärztin befürchten muss, dass dies zu einem Schwangerschaftsabbruch führen könnte.»

Eine Frau mit dunklem Haar, lächelnd vor einer schräg schraffierten Wand.
Legende: «Eltern haben ein Recht auf Auskunft»: Andrea Büchler, Mitglied der Ethikkomission. Goran Basic / NZZ

Die unlängst beschlossene Revision des Bundesgesetzes über die genetischen Untersuchungen beim Menschen regelt unter anderem den Umgang mit diesen neuen vorgeburtlichen Tests.

Geschlecht und Gespräch

Falls ich mich für diesen Bluttest entscheide: Warum darf ich nur einen Teil der Befunde erfahren, also jene über Trisomie, nicht aber das Geschlecht? Das sei ein heikler Punkt, sagt Büchler: «Grundsätzlich ist es problematisch, dass man den Eltern einen Befund vorenthält, denn sie haben grundsätzlich ein Recht auf Auskunft.»

Es könnte, so Büchler, als Misstrauensvotum verstanden werden, dass Eltern mit solchen Informationen leichtfertig umgehen. «Aber ich kann verstehen, dass man einer befürchteten Geschlechterselektion den Riegel schieben will.»

Wichtiger sei allerdings ist, dass die Ärztin – wenn sie vermutet, die Frau stehe unter Druck – das Gespräch anbiete und auf Unterstützungsangebote aufmerksam mache.

Recht auf Nichtwissen

Wäre ich heute schwanger, würde ich diese Fragen stellen: Wie sollen ich und der zukünftige Vater mit dem möglichen Wissen über das Embryo umgehen? Wie viele Informationen sind wichtig und sinnvoll, und welche Konsequenzen haben diese Informationen? Haben wir auch ein Recht auf Nichtwissen?

Eine schwangere Frau beim Ultraschall-Untersuch.
Legende: «Man sieht’s grad so schön!» Ultraschall macht heute fast jede Schwangere. Aber mehr? Getty Images / Chris Sattlberger

Büchler erinnert daran, dass etwa in Indien Geschlechterselektion an der Tagesordnung ist, obwohl sie seit vielen Jahren unter Strafe steht. Für die Juristin ist es wichtig, dass die Fristenlösung nicht relativiert wird.

Danach muss eine Frau einen Abbruch der Schwangerschaft im ersten Trimester nur sich selbst gegenüber rechtfertigen. Im Zentrum steht die Selbstbestimmung der Frau, die es zu respektieren gilt und die freilich mit Verantwortung einhergeht.

Wissen, was man wissen will

Aller Theorie zum Trotz: Will ich solche Entscheide überhaupt fällen? Und wenn ja – wäre ich fähig dazu? Meine persönliche Antwort lautete damals, bei einer kleineren Auswahl an Tests: nein. Ich hatte zwei Schwangerschaften, beide verliefen problemlos. Meine zwei Jungs sind inzwischen grösser als ich.

Eine schwangere Frau betrachtet sich im Spiegel.
Legende: Grosser Bauch, grosse Frage: Haben wir ein Recht auf Nichtwissen? Photocase / David Pereiras

Ich beneide die Frauen und Paare nicht, die sich dem Labyrinth dieser Tests und dem dazu gehörigen Erfolgsdruck stellen. Ich würde mich hüten, jemanden deswegen zu kritisieren – oder auch nur Rezepte zu verteilen.

Aber doch dieses eine: Es gibt ein Recht auf Nichtwissen.

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