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Gesellschaft & Religion Predigen zwischen Kirche und Moschee: Bischof Paul von Arabien

Bischof Paul Hinder lebt in Abu Dhabi. Dort kümmert er sich um Katholiken. Für den Schweizer gibt es hier einiges zu tun: Die Kirche ist für viele christliche Migranten ein Rückzugsort der Solidarität. Denn am Golf dürfen sie ihren glauben nur innerhalb der Kirchenmauern ausleben.

Als der Thurgauer Paul Hinder zum ersten Mal eine Messe in den Vereinigten Arabischen Emiraten besuchte, war er überrascht. Die Kirchen waren voll, an Weihnachten besuchen bis zu 10‘000 Leute einen Gottesdienst. Er konnte sich nicht vorstellen, wie die Leute dort leben können, in all den Sandstürmen und der Trockenheit. Dann wurde Paul Hinder selbst zum Bischof des südlichen Arabiens, trotz Bedenken sagte er ja. Und lebt nun schon seit zehn Jahren in Abu Dhabi.

Die grosse Welt im kleinen Emirat

Paul Hinder ist verantwortlich für die Vereinigten Arabischen Emirate, für Oman und für Jemen. In den Jemen kann er aufgrund der prekären Sicherheitslage nur selten reisen. Der Staat ist instabil, viele Christen sind deswegen ausgewandert oder können den Gottesdienst nur noch sporadisch besuchen. Paul Hinder versucht aber trotzdem, die Gläubigen im Jemen zu besuchen. «Ich schulde es einfach diesen Menschen, die ausharren in dieser Situation, dass die von Zeit zu Zeit den Bischof sehen und erfahren.»

Paul Hinder hält jeden Tag eine Messe, die Gläubigen sind eifrige Kirchgänger. Dabei treffen unterschiedliche Kulturen und Sprachen aufeinander, Katholiken und Katholikinnen aus Europa, aus Nigeria, aus Indien und den Philippinen feiern gemeinsam. Es gebe aber nur wenige Konflikte, betont Bischof Hinder.

Kirche nur zu Weihnachten

Ein Mann mit Brille und kurzen grauen Haaren lächelt in die Kamera.
Legende: Bischof Paul Hinder alias Bischof Paul von Arabien. Keystone

Viel eher belasten ihn die Lebensumstände katholischer Migranten. Es gebe zwar eine relativ gut gestellte Mittelschicht, erzählt Paul Hinder. Aber der Grossteil der Katholiken arbeitet als Hausangestellte oder als Bauarbeiter. Gerade die Frauen würden als Hausangestellte manchmal wie Sklavinnen behandelt. Einige dürften nur gerade zu Weihnachten einen Gottesdienst besuchen, sonst seien sie immer am Arbeiten. Aber immerhin habe sich die Situation der Bauarbeiter in ihren Wohncamps in den letzten zehn Jahren massiv verbessert.

Aufgrund dieser schwierigen Umstände würden viele ihren Glauben in der Fremde stärker praktizieren als zu Hause, beobachtet Paul Hinder. Die Kirche bietet einen geschützten Rahmen, wo die Gläubigen ihre Religion und ihre Tradition leben können. Zudem bilde sich eine starke Solidarität, denn alle Immigranten müssten immer wieder um ihre Aufenthaltsbewilligung zittern, die ihnen jederzeit entzogen werden kann.

Der Muezzin nervt manchmal

Zudem glaubt Paul Hinder, dass gerade der intensive Kontakt mit einer anderen Religion die Katholiken wieder stärker zurück zu ihrer eigenen Tradition bringe. Denn der Islam ist am Golf omnipräsent. Bischof Paul Hinder nervt sich auch manchmal über den laut plärrenden Muezzin am Morgen. Die Religion beherrsche hier wirklich das ganze Alltagsleben, da wünschte er sich manchmal etwa mehr Diskretion gegenüber Andersgläubigen.

Andererseits beeindruckt ihn aber auch gerade diese Durchdringung des Alltags mit religiösen Inhalten. Abertausende von Menschen stehen zur gleichen Zeit auf, werfen sich zur gleichen Zeit nieder vor Gott. Im Fastenmonat Ramadan verzichten alle Muslime tagsüber aufs Essen und Trinken, auch in der grössten Sommerhitze. Paul Hinder bewundert diese Disziplin. Auch in der Nacht werde dann ja nicht nur gegessen, sondern die Menschen besuchen sich und vertiefen ihren Glauben. «Hut ab!», meint Paul Hinder dazu. Er fragt sich manchmal, ob die Christen ihre Praxis nicht etwas vernachlässigen.

Religionsfreiheit light

In den Vereinigten Arabischen Emiraten können Katholiken frei praktizieren – solange sie das innerhalb der Kirchenmauern tun. Eine Religionsfreiheit im strikten Sinn gibt es aber nicht: Kein Muslim wird zum Christentum konvertieren. Paul Hinder nimmt das aber gelassen: «Wir respektieren die Gesetze des Landes, es macht keinen Sinn, einen unnötigen Konflikt hochzubeschwören.» Denn im Moment herrsche überhaupt keine feindliche Atmosphäre. Im Gegenteil, als Bischof werde er überall mit grossem Respekt behandelt.

Man sieht hinter einem Streifen Meer eine Skyline aus Hochhäusern.
Legende: Abu Dhabi ist die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Wikimedia/FritzDaCat

Islamische Extremisten, die es auch auf Christen abgesehen haben, würden in Abu Dhabi sehr kritisch bewertet, berichtet Paul Hinder. Die Mehrheit der Muslime reagiere mit Abscheu. Paul Hinder hat denn auch nur wenig Verständnis für die andauernde Kritik an den Muslimen in der Schweiz. Er hatte sich damals gegen die Minarett-Initiative eingesetzt und bedauert, dass die Toleranzschwelle immer mehr sinke.

Thurgauer Kosmopolit

Paul Hinder wählt da deutliche Worte. Bei seiner Arbeit als Bischof des südlichen Arabiens muss er aber meist leisere Töne anschlagen. Denn anders als in der Schweiz dürfe man in einer Monarchie nicht einfach «den Mund aufmachen, wie man will». Da wünschte er sich manchmal einen offeneren Umgang.

Aber trotz allem: Paul Hinder gefällt es in Abu Dhabi. Die vielen Begegnungen hätten seinen Horizont erweitert. Mit 75 wird er zurücktreten und wahrscheinlich in die Schweiz zurückkehren. Paul Hinder denkt manchmal mit Bangen daran, dass es ihm in der Schweiz zu eng werden könnte. Denn bei allen Einschränkungen erlebt er in Abu Dhabi die grosse weite Welt.

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