Zum Inhalt springen

Header

Audio
Wie viel Solidarität ist zu viel?
Aus Kultur-Aktualität vom 23.11.2022. Bild: KEYSTONE/DPA/Sebastian Gollnow
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 58 Sekunden.
Inhalt

Proteste im Spitzensport Haben sich Fussballer früher mehr getraut?

Die Fussball-WM in Katar ist und bleibt umstritten: Nun hat die Fifa die Aufschrift «Love» am Kragen der belgischen Trikots verboten - genauso wie die «One Love»-Binde. Der Weltfussballverband drohte mit Konsequenzen. Wie können Vereine oder Sportlerinnen mit Protestaktionen bei Sportgrossereignissen umgehen? Und wie hat sich die Protestkultur geändert? Fragen an einen Fussballexperten.

Jürgen Mittag

Jürgen Mittag

Politikwissenschaftler und Historiker

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Jürgen Mittag ist als Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig und Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Zudem engagiert er sich u. A. im wissenschaftlichen Beirat der UEFA.

Sieben europäische Nationen, darunter auch die Schweiz, hatten im Vorfeld der WM angekündigt, als Zeichen für Vielfalt Kapitänsbinden mit buntem «One Love»-Aufdruck zu tragen. Die Fifa hat es untersagt, unter Androhung von sportlichen Konsequenzen. Die Kapitäne tragen nun keine Binde. Wieso geben die Fussballvereine gegenüber der Fifa so schnell klein bei?

Sie haben Sorge, einen Wettbewerbsnachteil zu erleiden. Dies, weil etwaige Androhungen auf einer sehr vagen rechtlichen Grundlage basieren. Die Fifa hat auf der einen Seite in ihrer Satzung stehen, dass sie sich für Menschenwürde und Grundrechte einsetzt. Auf der anderen Seite wolle sie politische Neutralität wahren. Je nachdem, wie man das interpretiert, kann man beispielsweise die «One Love»-Binde als unzulässige politische Intervention sehen.

Fussbal Nati Iran bei ihrem ersten spiel bei der WM in Katar
Legende: Die Fussballer der iranischen Nati solidarisieren sich mit den Protestierenden in ihrer Heimat und schweigen, als die Nationalhymne tönt. Dafür drohen ihnen im Iran Konsequenzen. Imago Images/MB MEDIA SOLUTIONS

Auch das Olympische Komitee ist in den vergangenen Jahren sehr restriktiv gegen sportbezogenen Protestaktionen vorgegangen. Man erinnere sich an die Leichtathletik-WM 2013 in Russland: Eine schwedische Hochspringerin ist mit lackierten Fingernägeln in den Regenbogenfarben angetreten. Das wurde ihr untersagt, woraufhin sie fortan mit rot lackierten Fingernägeln antrat.

Ist die Verbotskultur im internationalen Sport rigoroser geworden?

Das würde ich nur begrenzt sagen. Wenn wir sehen, was bei der letzten Europameisterschaft an Symbolik zugelassen wurde, erkennt man, dass in vielen Sportverbänden die Bereitschaft vorhanden ist, in einen politischen Austauschprozess einzutreten.

Ein Leichtathletin faltet ihre Hände vor dem Gesicht.
Legende: Für ihre bunten Fingernägel wurde Emma Green-Tregaro bei der Leichtathletik Weltmeisterschaft 2013 in Russland in die Schranken gewiesen. IMAGO / TT

Das deutlichste Beispiel war, als die UEFA am selben Tag die Illumination des Münchner Olympiastadions in Regenbogenfarben untersagt hat, aber gleichzeitig ihr eigenes sonst in roter Farbe gehaltenes Logo in den Regenbogenfarben eingefärbt hat. Da kommt sehr viel Ambivalenz zum Ausdruck.

Haben sich Fussballer früher bei grossen Sportereignissen eher getraut zu protestieren?

Ich würde sagen, dass die Sportler im Allgemeinen und die Fussballer im Besonderen eine weitaus höhere Sensibilität an den Tag legen, wenn es um Missstände im Sport geht. Das hängt auch damit zusammen, dass Sportgrossereignisse früher seltener an «problematische» Staaten vergeben wurden.

Der Sport und der Fussball sind ein gigantisches Milliardenunternehmen. Da ist sehr viel choreografiert und inszeniert.

Heutzutage berichten zudem die Medien weitaus stärker im Vorfeld über Probleme. Fussballer können kaum noch anders, als sich zu positionieren.

Sind sich die Fussballer heute stärker darüber bewusst, dass ihre politische Positionierung wichtig für das Image ist?

Absolut. Der Sport und vor allem der Fussball sind ein gigantisches Milliardenunternehmen. Da ist sehr viel choreografiert und inszeniert. Zu einer guten Inszenierung gehört auch ein politisches Verantwortungsbewusstsein.

Bei weitem nicht jedes politische Statement, das gegeben wird, kommt aus persönlicher Überzeugung oder altruistischer Haltung heraus. Sondern ist bisweilen Teil eines von Aussen an den Verband oder den Spieler herangetragenen Aufgabenkatalogs.

 Das Gespräch führte Katharina Brierley.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 23.11.2022, 08:15 Uhr;

Meistgelesene Artikel