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Psyche des Politischen Wer extrovertiert ist, wählt an der Urne konservativ

Unser Charakter bestimmt, wie wir abstimmen und welche Partei wir wählen, sagt der Berner Politologe Markus Freitag. Er hat dies erstmals systematisch für die Schweiz erforscht. Schweizer Wähler lassen sich demnach in fünf Persönlichkeits-Typen einteilen.

Die Offenen

Die fünf Wählertypen

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Was verrät der Charakter über unser politisches Denken und Handeln? Das hat der Politologe Markus Freitag erstmals systematisch für die Schweiz erforscht. Nach 14'000 Interviews hat Freitag die Wählenden in fünf zentrale Charakter-Kategorien eingeteilt. Diese glich er mit dem Wahlverhalten ab. Die so entstandenen Profile werden hier wiedergegeben.

Wichtiger Charakterzug

Aufgeschlossenheit

Wer sind sie?

Rund 25 Prozent der Wählerinnen und Wähler in der Schweiz schätzen sich als offen ein. Diese Personengruppe ist einfallsreich und kreativ, fordert Normen heraus und ist künstlerisch interessiert.

Die Offenen sind eher kritisch gegenüber etablierten Wertesystemen und Hierarchien. Offene identifizieren sich weniger stark mit ihrem Herkunftsland und zeichnen sich vielmehr durch eine kosmopolitische Grundhaltung aus.

Was tun sie?

Die Offenen leben vornehmlich in urbanen Gebieten. Die Stadt zieht die Offenen an, weil sich hier viele Ideen verwirklichen lassen und weil sie viel Input bekommen.

Die Wählerinnen und Wähler mit diesem Persönlichkeitsprofil sind social-media-affin, wollen sich politisch einbringen und an Diskussionen teilnehmen.

Wen wählen sie?

Die Offenen neigen zur Grünen Partei oder zur Sozialdemokratischen Partei (SP).

Eine Hand hält an der Versammlung der CVP eine orange Wahlkarte in die Höhe.
Legende: Gewissenhaft befürworten laut Freitag konservative Anliegen – wie die der CVP, FDP oder SVP. Keystone

Die Gewissenhaften

Wichtiger Charakterzug

Perfektionismus

Zur Person

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Markus Freitag ist Professor für politische Soziologie an der Universität Bern. Seine Studie zum Schweizer Wahlverhalten führt er in seinem Buch «Die Psyche des Politischen» (NZZ Libro 2017) aus.

Wer sind sie?

Rund 50 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer haben sich als gewissenhaft bezeichnet. Ordentlich, prinzipientreu, verlässlich und ambitioniert sind Adjektive, die zu den Gewissenhaften gehören.

Diese Persönlichkeit ist eher bereit bestehende Hierarchien zu akzeptieren und sich Autoritäten unterzuordnen.

Was tun sie?

Gewissenhafte haben ein ambivalentes Verhältnis zur Politik: Sie spüren die Pflicht, sich als guter Bürger oder gute Bürgerin zu beteiligen. Auf der anderen Seite kehren sie der Politik rasch den Rücken, wenn ihnen dafür zum Beispiel die Zeit fehlt.

Mit Radio und Fernsehen informieren sie sich besonders gerne, auch die Tageszeitungen gehören in die Domäne der Gewissenhaften.

Wen wählen sie?

Gewissenhafte Wählerinnen und Wähler neigen zu konservativen Positionen, sprich zu Parteien die Etabliertes bewahren. Etwa zur Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), den Liberalen der FDP oder der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Mehrere Männer halten an der Versammlung der SVP weisse Wahlkarten in die Höhe, im Hintergrund eine Schweizer Flagge.
Legende: Extrovertierte tendieren oft zu bürgerlichen Parteien, wie der SVP oder der FDP. Keystone

Die Extrovertierten

Wichtiger Charakterzug

Geselligkeit

Wer sind sie?

Extrovertierte sind direkt, gesellig und gesprächig. Sie zeigen häufig ein dominantes Auftreten. Sie suchen den Wettbewerb und schätzen klare Hierarchien. Extrovertierten ist eine klare Ansprache wichtig und weniger eine Diskussions- oder Kompromiss-Kultur.

Nur 14 bis 19 Prozent der befragten Wählerinnen und Wähler schätzen sich selbst als extrovertiert ein, Frauen häufiger als Männer und Menschen aus der Deutschschweiz häufiger als Personen aus dem Tessin.

Was tun sie?

Auffallend oft beteiligen sich Extrovertierte über die sozialen Medien an politischen Debatten. Sie nutzen politische Informationen generell für ihre eigenen sozialen Interaktionen. Deshalb beziehen sie Informationen aus allen verfügbaren Medienkanälen, inklusive Social Media und Gratiszeitungen.

Wen wählen sie?

Wählerinnen und Wähler bei denen diese Charaktereigenschaft dominiert, fühlen sich eher von der bürgerlichen Seite angezogen. Sie wählen eher die FDP und die SVP.

Ein Mann hält an der Versammlung der BDP eine gelbe Wahlkarte in die Höhe.
Legende: Hauptsache kompromissbereit: Die Verträglichen vertragen sich etwa gut mit der BDP, SP oder CVP. Keystone

Die Verträglichen

Wichtiger Charakterzug

Kooperationsbereitschaft

Wer sind sie?

Verträgliche Personen werden als nett, warmherzig, empathisch und altruistisch beschrieben. Sie sind kooperativ und meiden möglichst die Konfrontation. Deshalb sind sie der Politik generell nicht sehr zugewandt. Rund 40 Prozent der Stimmberechtigten können als verträglich eingestuft werden.

Was tun sie?

Es leben mehr Verträgliche in der deutschen als in der lateinischen Schweiz. Sie unterstützen Bürgertugenden, die das Wohlergehen anderer stützen. Dazu gehört auch, dass die Verträglichen gesellschaftliche Normen einhalten. Sie lehnen Gratiszeitungen und soziale Medien als Überbringer politscher Informationen ab.

Wen wählen sie?

Parteien, die sich stark machen für ein solidarisches Miteinander und die für eine kompromissorientierte Politik stehen, werden von den Verträglichen gewählt.

Falls sie wählen, entscheiden sie sich für die linke Seite des politischen Spektrums: also für die SP, aber teilweise auch für die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) oder die CVP.

Eine Frau hält an der Versammlung der SP eine rote Wahlkarte in die Höhe.
Legende: Neurotische wünschen sich mehr Sozialstaat. Daher wählen sie SP oder CVP. Keystone

Die Neurotischen

Wichtiger Charakterzug

Emotionale Labilität

Wer sind sie?

Emotional instabile Menschen sind unsicher, nervös und legen eine gewisse Besorgtheit an den Tag. Nur gerade fünf Prozent der Befragten schätzen sich selbst als neurotisch ein. Diese Persönlichkeiten sind ähnlich wie die Verträglichen skeptisch, wenn es um politische Auseinandersetzungen geht.

Was tun sie?

Sie verspüren häufiger negative Emotionen wie Angst, Unterlegenheit und Traurigkeit. Zudem befürworten sie häufig eine Umverteilung von Ressourcen und ein eng geknüpftes sozialstaatliches Netz, weil sie die bestehende Wirtschafts-Ordnung als unfair empfinden.

Wen wählen sie?

Die Neurotischen bevorzugen Parteien wie die SP oder die CVP, weil diese die Idee eines sorgenden Staates vertreten.

Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 20.9.17, 22.25 Uhr

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