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Braucht die Schweiz eine Reform im Umgang mit Fehlgeburten?
Aus Kultur-Aktualität vom 07.05.2021. Bild: Unsplash
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Psychische Folgen, hohe Kosten Nach einer Fehlgeburt werden Frauen vernachlässigt

Eine neue Studie sieht weltweite Missstände im Umgang mit Fehlgeburten. Auch in der Schweiz wäre eine Reform nötig, sagen Expertinnen und Experten.

Etwa jede zehnte festgestellte Schwangerschaft endet vorzeitig in einer Fehlgeburt. Weltweit erleiden Frauen jedes Jahr insgesamt 23 Millionen Fehlgeburten.

Dem Ereignis, so traurig es für Betroffene ist, wird medizinisch keine grosse Bedeutung beigemessen. Erst wenn sich Fehlgeburten wiederholen, werden genauere medizinische Abklärungen gemacht.

Schwere psychische Belastung

Diese Vorgehensweise sei reformbedürftig, sagt Shioban Quenby. Quenby ist Medizinprofessorin an der britischen Universität Warwick und Hauptautorin einer Studie, die in der Fachzeitschrift The Lancet publiziert wurde. Darin wird eine umfassende Reform des Umgangs mit Fehlgeburten gefordert.

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«Bislang wurden Fehlgeburten nur beachtet, wenn sie sich mehr als dreimal wiederholten. Eine einmalige Fehlgeburt spielte keine Rolle», so Shioban Quenby. Dieses Konzept sei veraltet. Denn: Jede einzelne Fehlgeburt zähle. Schon eine einzige könne eine Frau psychisch schwer belasten – und erhöhe das Risiko für weitere Fehlgeburten, so Quenby.

Shioban Quenby will die Studie als Weckruf verstanden wissen: dass jede Fehlgeburt Aufmerksamkeit und die Patientin Behandlung verdiene.

Beratung nach jeder Fehlgeburt

Die Lancet-Studie rechnet vor, dass nicht adäquat behandelte Fehlgeburten das britische Gesundheitswesen 600 Millionen Franken jährlich kosten - von den weltweiten Kosten ganz zu schweigen. Nur schon deshalb müsse sich grundsätzlich etwas ändern.

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Jede Fehlgeburt müsse Anlass für eine umfassende Beratung sein, sagt Shioban Quenby. Ziel sei es, eine Frau gesundheitlich optimal auf eine nächste Schwangerschaft vorzubereiten.

Mangelnde Betreuung in der Schweiz

Die Situation in der Schweiz ist ähnlich wie die in England. Michael von Wolff, Chefarzt für Reproduktionsmedizin an der Frauenklinik am Inselspital Bern, verweist auf die Leitlinien, nach denen sich Spitäler und Arztpraxen richten: «Sie sagen, dass man nach einer bestimmten Anzahl von Fehlgeburten eine Abklärung machen muss». Gemäss den Schweizer Richtlinien seien dies drei Fehlgeburten, in Europa seien es zwei.

In der Praxis werde es anders gehandhabt, so Michael von Wolff: «Eine Fehlgeburt ist etwas derart Traumatisches, dass man schon viel früher hinschaut.»

Überforderte Fachleute

Doch früher schauen reiche nicht, sagt Anna Margareta Neff, Hebamme und Leiterin der Fachstelle Kindsverlust. Sie vermisst eine ausreichende psychologische Unterstützung der Eltern. «Bei uns rufen ganz viele betroffene Eltern an, dass sie sich von der aktuellen Handhabung von den Spitälern und den gynäkologischen Praxen nicht abgeholt fühlen», so Neff.

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Neff stellt fest, dass Fachleute vielerorts mit dem Thema überfordert seien. Oft werde dies mit medizinischem Aktionismus kompensiert. Das sei der falsche Ansatz, sagt Neff: «Wenn man den Eltern im Moment mehr Zeit und Raum geben würde, könnten diese eine Fehlgeburt besser ins eigene Leben integrieren.»

Was in der Lancet-Studie gefordert wird, wäre auch hierzulande hilfreich: Fehlgeburten ernst nehmen – und akzeptieren, dass sie zum Kinderhaben dazugehören.

Beratungsstelle bei Kindsverlust

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Bei der Beratungsstelle Kindsverlust.ch werden von Fehlgeburt betroffene Mütter und Väter kostenlos beraten und an Fachpersonen weitergeleitet.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 7.5.2021, 7:06 Uhr;

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