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Punk-Ikone Patti Smith «Die Punks haben alles fertiggemacht, was ihnen hohl vorkam»

1979 begegnete die «Godmother of Punk» Patti Smith dem Schweizer Maler Franz Gertsch. Wir nehmen diese Archivperle zum Anlass für ein Gespräch über Punk mit dem Musikjournalisten Jean-Martin Büttner.

Zur Person

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Legende: SRF

Jean-Martin Büttner hat fast sein ganzes Berufsleben beim «Tages-Anzeiger» verbracht, wo er 1984 als Musikkritiker begann und heute, nach diversen Stationen als Korrespondent, als Reporter arbeitet.

Mit Musik hat auch seine Dissertation zu tun: «Sänger, Songs und triebhafte Rede. Rock als Erzählweise», Frankfurt a.M. 1997

SRF: Was war Punk damals, als er aufkam?

Jean-Martin Büttner: Für mich als Gymnasiast, der Bob Dylan, Genesis und Pink Floyd hörte, war es ein totaler Schock.

Inwiefern?

Ich ging 1978 nach England und wurde mit einer neuen Welt konfrontiert. Es war, als würde sich der Rock 'n’ Roll noch einmal komplett neu erfinden, so wie er einmal gewesen war: jung, unbändig und wild.

Was war textlich, musikalisch, vom ganzen Gestus her, neu am Punk?

Die erste Figur aus dem Punk, die ich auf Anhieb mochte, richtig liebte, war Elvis Costello. Der hat mich mit seinen wortreichen Texten und auch seiner Stimme an Bob Dylan erinnert. Aber es war auch dieser Rasierklingensound, eine unglaubliche Wut.

Es gibt im Englischen ein Wort: «glee»: eine Mischung aus Freude und Hohn. Die Sex Pistols und The Clash hatten diesen Sound – und die dazugehörige Attitüde. Ausserdem legierte sich Punk mit Reggae. Drogentechnisch gesprochen: Amphetamin vermischte sich mit Marihuana.

Wovon war Punk damals Ausdruck?

Punk war Ausdruck eines Ekels darüber, was aus der Rockmusik geworden war. Emmerson, Lake & Palmer fuhren mit drei riesigen Lastwagen herum.

Yes und andere Bands sah man aus grosser Entfernung in einem Stadion, stecknadelgross. Das war so, als hätte der Rock 'n' Roll alles, was er einst versprochen hatte, in einer Konterrevolution selbst verraten.

Bei Punk war die Attitüde wichtig: Diese Axt, die es braucht.

Dann war Punk eine Rückkehr zu den Wurzeln des Rock 'n' Roll?

Ja, aber er hatte auch etwas, was es bis dahin noch nicht gegeben hatte: Nihilismus. Dass sich eine Band «Sniffing Glue» nannte, zeigte, wie illusionslos so viele waren.

Punk als Nihilismus und musikalischer Dilettantismus?

Keith Richards hat mal gesagt, er habe die Punks nicht ernst genommen, weil die nicht spielen könnten. Das war auch die Ästhetik damals: hier ist ein Akkord, hier ein zweiter, da ein dritter. Und jetzt gründe eine Band.

Die Ausnahme war The Clash. Auf «London Calling» spielten sie richtig gut mit einem Schlagzeuger, der vom Jazz gekommen war. «London Calling» ist sicherlich eines der besten und schönsten Punk-Alben jener Zeit.

Wie war das, als Sie Patti Smith das erste Mal gehört haben?

Das muss Ende der 70er-Jahre gewesen sein. Kein Album der Rockgeschichte fängt an mit einem solchen Satz: «Jesus died for somebody’s sins but not mine.» Mit diesem ersten Satz hat sie klargemacht, dass da jemand ist, den man ernst nehmen musste.

Daran erkannte Dylan sofort ihre Substanz. «Gloria» und die anderen Stücke auf der Platte gefielen. Auch das ikonische Coverbild von Robert Mapplethorpe, diese junge, androgyne Frau mit einer Frisur wie Keith Richards.

Die Punks haben damals alles fertiggemacht, das ihnen hohl vorkam, vom Erfolg verfettet.

Was war besonders an ihr und ihrer Musik?

Es war die Kombination: Eine so junge Frau bringt derart poetische und lyrische Texte mit diesem harten Klang zusammen. Es war ihr ganzer Gestus. Das war vollkommen neu.

Was machte sie als Frau anders als die Männer?

Als Frau singt sie anders über Themen. «Gloria» wird durch sie zum halb lesbischen Liebesgedicht. Und dann hat es aber wieder dieses komplett Rohe, Brutale des Originals von Van Morrison.

Robert Mapplethorpes Porträt von Patti Smith auf dem Cover von «Horses».
Legende: Robert Mapplethorpes Porträt von Patti Smith auf dem Cover von «Horses». Getty Images

Sie war sehr androgyn, das darf man nicht vergessen, auf dem Cover sieht sie wie ein Jüngling aus. Sie war fordernd als Frau, aber zugleich Fan von Keith Richards. Sie hat, auf ihre kühne Art, die Rocktradition aufgenommen, weiterentwickelt.

Gibt es Texte, Zeilen, die Ihnen geblieben sind?

Ich finde «Gone Again» , eine spätere Platte, sehr schön. Da trauert sie sehr lyrisch um drei Männer, die sie in kurzer Zeit verloren hat: ihren Ehemann, um Robert Mapplethorpe und um ihren Bruder. Die ganze Platte ist ein Choral, nicht musikalisch sondern textlich. Sie ist bis heute eine grossartige Lyrikerin.

Wer ausser Patti Smith hatte im Punk etwas zu sagen?

Die erste Sex-Pistols-Platte bleibt natürlich und es wird vergessen, wie sorgfältig produziert sie war. Elvis Costello bleibt für mich die andere grosse Figur.

Patti Smith bei Franz Gertsch

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Der Schweizer Maler Franz Gertsch malt Ende der 1970er-Jahre eine Porträtserie von Patti Smith – hyperrealistisch mit Fotos als Vorlage.

Der Film von Peter K. Wehrli dokumentiert diese Arbeit und den magischen Moment, als Patti Smith das Atelier betritt (bei Minute 10:00).

Aber Punk geht wie jede Bewegung in die eigene Geschichte ein. Bei Punk war die Attitüde wichtig: Diese Axt, die es braucht. Die Punks haben damals alles fertiggemacht, das ihnen hohl vorkam, vom Erfolg verfettet.

Nur wenige Figuren aus den Sechzigern und frühen Siebzigern entgingen ihrem Hohn. David Bowie zum Beispiel, die Kinks oder die Who.

Dann schlug die Musikindustrie zurück mit dem Label «New Wave», in dem wiederum tolle Bands ihre Musik fanden: The Jam, XTC, später Depeche Mode. Aber es braucht zuerst diese Axt.

Was am Punk hat überdauert?

Überdauert hat die Haltung: Die Jugend, das Radikale, das Brutale, der Nihilismus, das Brachiale und auch der Humor. Letzterer ging den anderen ab.

Wenn Johnny Rotten auf der Bühne stand mit einem T-Shirt «I Hate Pink Floyd», und er hatte nur «I Hate» auf dem Originalshirt ergänzt, dann war das ebenso ökonomisch wie provokativ damals.

Alle diese neueren Stars, haben tolle Stimmen, aber ihre Musik lässt mich kalt. Ich kann das bewundern, aber ich mag es nicht.

Punk hatte eine grosse Glaubwürdigkeit. Heute ist vieles Pose, Falschheit. Was ist da passiert?

Das hat es immer gegeben. In jede Revolution ist immer schon die Konterrevolution eingebaut. Aber was sich wirklich verändert hat, ist: In der Youtube-Zeit steht alles gleichzeitig nebeneinander. «Every song that I ever heard», singen Arcade Fire auf ihrer neuen Platte, «is playing at the same time, it’s absurd.» Deshalb kann man nicht mehr mit einem neuen Stil kommen. Es ist nur noch die Frage, wie man etwas kombiniert.

Beyoncé, Shakira, alle diese neueren Stars, haben tolle Stimmen, aber ihre Musik lässt mich kalt. Ich kann das bewundern, aber ich mag es nicht. Zudem ist es unmöglich geworden, unbeobachtet einen neuen Stil zu entwickeln.

Dafür kann man, und das erinnert an den Dilettantismus der Punks, im Schlafzimmer eine Platte aufnehmen. Man muss nicht mal Klavier spielen können, ein Laptop und ein Softwareprogramm reichen.

Leute wie The Streets haben auf diese Weise grandiose Musik gemacht. Aber wenn es jeder kann, kommt auch viel Mist heraus, das geht unter in der Masse der Youtube-Clicks.

Deshalb wird die Pose immer wichtiger. Man definiert sich über sie, weil man sich als Individuum gar nicht mehr abheben kann. Was früher eine Haltung war, ist heute eine Marke: ein Brand.

Das Gespräch führte Franz Kasperski

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