«Am Anfang der Reise stand ein dramatisches Ereignis», erzählt Christoph Lichtin, Direktor und Kurator der Ausstellung im Historischen Museum Luzern. «Sieben Jahren zuvor war ihr Mann Prinz Albert gestorben. Queen Victoria fiel in eine Depression und hat während Jahren diese Reise vorbereitet.»
Die damals mächtigste Frau der Welt habe ursprünglich nach Österreich fahren wollen, sagt Lichtin. Doch nach Recherchen ihrer Mitarbeiter sei die Wahl dann auf die Schweiz und Luzern gefallen.
Ein offenes Geheimnis
Der früh verstorbene Prinz Albert hatte ein Faible für die Schweizer Berge gehabt. Victorias Reise nach Luzern war vor allem auch ein Gedenken an ihn. Deshalb war die Queen eigentlich privat – also inkognito – unterwegs.
Aber das wollte nicht so recht klappen, schmunzelt Kurator Christoph Lichtin: «Die Entourage hatte während der fünf Wochen ein komplettes Dampfschiff gemietet. Luzern war noch viel kleiner damals. Alle wussten, dass die britische Königin hier ist.»
Abstand und Abschied
Der Hauptteil der Ausstellung widmet sich Victorias Aufenthalt in Luzern und ihren Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. Die Quellen sind reichlich. Die Queen hat akribisch Tagebuch geführt. Sie hat die liebliche Landschaft aquarelliert. Es gibt Dokumente, Fotos und Texte.
Victorias Aufzeichnungen sind dabei besonders wertvoll. Sie zeigen zweierlei: Victoria wollte Abstand von zu Hause und vom Königin-Sein gewinnen. Und sie wollte von ihrem Gatten Abschied nehmen, dessen Tod sie seit Jahren lähmte.
«Es war natürlich ihre Absicht, in dieser Landschaft, die Prinz Albert so begeistert hatte, ihrem verstorbenen Mann nahe zu sein», so Lichtin. Was hätte Albert dazu gesagt, frage sie im Tagebuch immer wieder.
Im Gehirn der Königin
Victorias Trauer, ihr Entzücken über die Landschaft, die Erinnerungen an ihren Mann: Der Versuch, diese Befindlichkeiten darzustellen, ist ein weiterer Teil der Ausstellung.
Hier verlässt die Schau das rein Dokumentarische und versucht, ein Seelenbild der leidenden Königin zu zeichnen. «Wir haben ein Psychogramm eingerichtet als eine grosse Klangbild-Installation, wo man in das Gehirn und in die Seele der Königin eintaucht», erklärt der Kurator.
Neue alte Filme
Dabei kommt neuste Technik zum Einsatz, teils auf alt getrimmt: gefilmte Sequenzen, in denen Schauspieler Szenen nachstellen. Die Filme knarzen und wackeln, als kämen sie aus den Anfangsjahren der Technik. Schauspielerinnen und Schauspieler begleiten die Ausstellung aber auch live, indem sie Ereignisse oder Begnungen sur place aufführen.
Die Ausstellung im Historischen Musuem macht deutlich: Die fünf Wochen Zentralschweiz taten Victoria gut. Die Queen kehrte heim, nahm die Arbeit wieder auf – und wurde bald sogar noch mächtiger.
«Rheinsalm à la Victoria»
Ein Segen war der Aufenthalt Victorias aber auch für die Zentralschweiz. Plötzlich hiessen Hotels und Strassen nach Victoria, sagt Christoph Lichtin. Aber die Königin schaffte es auch auf Menükarten: «Da gab es dann ‹Rheinsalm à la Victoria›. Queen Victoria war eine Marke, die alles nobilitiert, was mit Gastronomie und Tourismus zu tun hat.»
Eine mächtige, aber lebensmüde Königin kommt in die Schweiz. Hier erfährt sie Gutes – und tut Gutes. Diese Mischung aus Weltgeschehen und berühmter Persönlichkeit mache die Attraktion aus, damals wie heute.
Christoph Lichtin sagt es so: «Geschichte und Klatsch, das interessierte damals. Und das interessiert heute.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 03.04.2018, 07:20 Uhr