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Rede von Martin Luther King Stil, Pathos und ein Trick: Warum «I Have a Dream» uns so bewegt

Genau heute vor 50 Jahren wurde Martin Luther King erschossen. Was ist das Geheimnis seiner berühmtesten Rede? Wir haben uns «I Have a Dream» mit einem Rhetorik-Experten angehört.

Eine gute Rede bringt zuallererst gute Argumente. Martin Luther King geht es um Gerechtigkeit. Um die Gleichberechtigung der Schwarzen in den USA.

Martin Luther King könnte es bei der Benennung dieser Ungerechtigkeiten belassen. Doch er tut etwas anderes. Er wendet einen Trick an. Er nimmt in seiner Argumentation einen Umweg. Martin Luther King spricht von einem Versprechen, das nicht eingelöst wurde: dem Versprechen auf Freiheit, Leben und dem Streben nach Glück.

Ein leeres Versprechen

In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung wird dieses Recht allen Bürgern zugesichert. Daran erinnert Luther King – und hält fest: Noch immer ist dieses Recht nicht für alle Menschen eingelöst.

Genau daraus gewinne diese Rede ihre Dramatik, sagt der Germanistik-Professor und Rhetorikspezialist Karl-Heinz Göttert. «Dass das so lange aufgeschoben wurde, obwohl es längst hätte geklärt werden können – das macht die Argumentation schlüssig und die Rede so dramatisch.»

«Opernhafte Züge»

Die bestechende Argumentation ist das eine, was eine gute Rede ausmacht. Das andere ist der Stil. Martin Luther King ist ein Meister des Stils.

Das zeigt sich zum Beispiel daran, wie er die Mittel von Wiederholung und Variation einsetzt. Er erinnert daran, dass genau 100 Jahre zuvor die Sklaverei in den USA offiziell abgeschafft worden ist – und noch immer seien die Schwarzen nicht frei. Diese «100 Jahre», die vergangenen sind, wiederholt King mehrfach, kurz nacheinander.

Die Rede strotze vor pathetischen Wendungen, sagt Karl-Heinz Göttert. «Da sind dauernd wörtliche Wiederholungen, bestimmte Wendungen sogar in dreifacher Wiederholungen. Da sind auch klangliche Anspielungen. Die Rede ist ein Sprachkunstwerk, das fast opernhafte Züge gewinnt.»

Die Kraft der Wiederholung

Die Rede erinnert tatsächlich an Musik. «Wir empfinden Wiederholungen als etwas Musikalisches», sagt der Rhetorik-Professor. «Diese Wiederholungen machen die Wiedererkennung stark aus. Und das ist hier auch so.»

Hand aufs Herz: Aus heutiger Sicht ist die Rede, die Martin Luther King vor mehr als 50 Jahren gehalten hat, doch sehr pathetisch. Doch sie funktioniert. «I Have a Dream» lässt wohl kaum jemanden kalt.

Nobelpreis und Ermordung

Doch Martin Luther Kings Redekunst ist nicht der alleinige Grund dafür, dass dieser Mann zur Ikone wurde, sagt Karl-Heinz Göttert.

«Hätte er nicht den Nobelpreis bekommen und wäre er nicht ermordet worden, wäre die Rede vielleicht nicht so berühmt geworden. Durch die historische Regie, durch die Verklammerung dieser beiden Ereignisse, hat sie noch zusätzlich etwas gewonnen.»

Und heute? Heute ist Martin Luthers Hauptanliegen, nämlich die Gerechtigkeit, noch immer aktuell. In den USA – und auch anderswo.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 04.04.2018, 07:20 Uhr

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