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Besuch bei einem Männerkreis Wenn «grosse Jungs» zu sich selber finden

Männer brauchen weniger Seelsorge – dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich die Geschlechterzusammensetzung in Gottesdiensten anschaut. Ein Besuch bei einem Männerkreis im Wald zeigt jedoch: Wenn der Rahmen stimmt, sind Männer durchaus bereit, Schwäche zu zeigen und über Sorgen zu reden.

Es ist kein Geheimnis, dass bei Gottesdiensten fast immer mehr Frauen als Männer in den Kirchenbänken sitzen. Auch bei der kirchlichen Seelsorge sieht es nicht wirklich anders aus.

Das bestätigt der römisch-katholische Seelsorger Thomas Münch: «Wir haben in der Predigerkirche jeden Tag von 14 Uhr bis 17 Uhr Seelsorge. Da gibt es etwa zwei Drittel weibliche Personen und ein Drittel männliche. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass diese Form von Spiritualität eher weibliche Personen anspricht als Männer.»

Schambesetzte Spiritualität

Warum ist das so? Liegt es an den Männern oder an den kirchlich-spirituellen Angeboten? «An beidem», sagt der Theologe und Männerberater Christoph Walser. Ein Mann müsse heute immer noch stark sein und Geistiges oder gar Hilfsbedürftigkeit hätten da nur wenig Platz.

Mann im Anzug vor Bücherregal.
Legende: Coach und Theologe Christoph Walser hilft Männern, wieder zu ihrer inneren Kraft zurückzufinden. SRF

Walser sagt: «Sich als spiritueller Mann zu outen, ist in dieser Gesellschaft schwierig. Wie wird das verstanden, wie wird das gehört, wie wird man dann eingeordnet? In anderen Kulturen gehen Männer viel selbstbewusster mit ihrer Spiritualität um – bei uns ist das sehr schambesetzt.»

Seelsorge, Gottesdienste oder überhaupt das Thema Spiritualität sind offenbar nicht kompatibel mit dem Bild, das Männer in der heutigen Leistungsgesellschaft von sich haben. Um dem entgegenzuwirken, gibt es immer mehr alternative kirchlich-spirituelle Angebote, spezifisch für Männer: Da wird zusammen mit dem Diakon Bier gebraut und nebenbei über Seelisches gesprochen. Oder man powert sich zuerst im Unihockey aus, bevor man zu den Gefühlen und Sorgen kommt.

Verletzlichkeit üben

Wenn die Umgebung passt, haben Männer also sehr wohl ein Bedürfnis nach Spiritualität. Das zeigt auch ein selbstständig organisierter Männerkreis in Zürich, bei dem sich junge Männer zwischen 30 und 35 regelmässig im Wald treffen und an einem Feuer über ihr Inneres reden.

Kessel über Lagerfeuer im Wald aufgehängt.
Legende: Sich an einem Feuer im Wald selbst spüren: Passt das Ambiente, lassen auch Männer einen Blick in ihr Innerstes zu. iStock / sercansamanci

Cyril, einer der Männer, sagt: «Wenn Männer neu zu uns stossen, ist es für sie oft ungewohnt, so offen vor anderen Männern über Gefühle zu sprechen. Da können wir Männer noch viel von den Frauen lernen.»

Das Gefühl, mit meinen Problemen nicht allein zu sein, ist sehr schön.
Autor: Ismael Teilnehmer in einem Männerkreis

Die Themen, die die Männer in diesen Männerkreis hineinbringen, sind sehr vielfältig: Da geht es um Sexualität, Geld, Freundschaft, Vater sein, Liebe, Beziehungen, Konsum, Süchte, Pornografie und vor allem darum, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

Auch geht es darum, die eigene Verletzlichkeit vor den anderen «Brüdern» zu üben. Ismael ist schon seit der Gründung des Männerkreises dabei. Er sagt: «Das Gefühl, mit meinen Problemen nicht allein zu sein, ist sehr schön. Das Teilen hier im Kreis gibt mir jedes Mal eine neue Perspektive auf mein Leben.»

Die heilende Kraft des Mitteilens

Die Frage ist, warum das nicht auch in einem Menschenkreis möglich ist. Warum braucht es da einen Männerkreis? Ismael sagt: «Alle Formen von Kreisen, in denen das Wort herumgeht, sind wertvoll. Viele Männer können über ihre Gefühle jedoch höchstens mit der eigenen Mutter oder später mit der Partnerin reden. Doch all das mit anderen Männern zu teilen, hat etwas sehr Kraftvolles.»

Person legt Hand tröstend auf die Schulter einer anderen Person.
Legende: «Öffnen unter Brüdern»: Männern fällt es insgesamt eher schwer, sich jemandem anzuvertrauen – gerade anderen Männern. iStock / fotostorm

Doch warum tun das nicht mehr Männer? Warum gibt es nicht viel mehr solcher Männerkreise? Männerberater Christoph Walser sagt: «Es gibt mehrere Ängste bei den Männern, wenn es um Männerkreise geht: Kommt man sich da zu nahe? Könnte man meinen, dass das etwas Schwules hat? Wird man da als konservativer Männerbund abgestempelt?»

Was die Männer dann aber in solchen Männerkreisen entdecken würden, sei etwas ganz anderes, sagt Christoph Walser, nämlich echte Brüderlichkeit. Man müsse endlich nicht mehr der Starke sein, nicht mehr der Beste. Die Männer würden in einem Männerkreis schnell einsehen, dass sie nicht immer alles allein schaffen müssten, so Walser.

Von Jesus lernen?

Der Männerpfarrer nennt auch Jesus als möglichen Wegweiser. Das Männlichkeitsverständnis Jesu sei im Grunde genommen ein gutes Beispiel, an dem sich moderne Männer orientieren könnten. Denn Jesus habe Stärke und Mitgefühl in einem verkörpert. Das Problem sei, dass Jesus heute für viele Männer irrelevant geworden sei.

Mann sitzt allein in einer Kirche auf einer Bank.
Legende: Können Kirchen von Männerkreisen lernen, um spirituelle Angebote für Männer attraktiver zu machen? iStock / cyano66

Und wie haben es die Männer im Wald mit dem Glauben, mit Kirche und allgemein mit Spiritualität? Kevin sagt: «Wenn ich da im Kreis mit den anderen Männern bin, dann kann ich mein Unterbewusstsein näher zu mir bringen. Ich spüre, was in mir drin abläuft, was wieso passiert, wieso ich dieselben Reaktionen im Alltag immer wieder habe. Statt Spiritualität würde ich also eher von dieser Verbindung mit mir selbst reden.»

Wenn wir uns befreien, dann können wir einfach Mensch sein.
Autor: Christoph Walser Theologe und Männerberater

Die Verbindung zu sich selbst finden, zur eigenen inneren Kraft, zum göttlichen Kern: Davon spricht auch der evangelisch-reformierte Theologe Christoph Walser: «Spiritualität ist nichts anderes als die Kunst zu lernen, wie ich in den Herausforderungen des Lebens immer wieder zum inneren Atem zurückfinden kann. Wir Männer kommen so häufig ausser Atem und werden von all diesen Männlichkeitsanforderungen bestimmt. Wenn wir uns daraus befreien – und da kann uns die Spiritualität helfen – dann können wir einfach Mensch sein.»

Es spielt also im Grunde genommen keine Rolle, ob Männer ihre Spiritualität eingebettet in eine Religion leben, ob sie sie im Gottesdienst praktizieren oder ganz individuell etwa mit anderen Männern im Wald – wichtig ist der ehrliche Blick nach innen.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 12.10.2025, 8:30 Uhr; sten

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