SRF: Es gibt innerislamische Forderung nach Reform in der Schweiz. Die Initiative «Offene Moschee Schweiz» möchte einen Ort schaffen, wo Frauen und Männer gemeinsam beten. Was halten Sie davon?
Montassar BenMrad: Ich würde sagen, dass alle Moscheen, die wir in der Schweiz haben, offene Moscheen sind. Offen für Männer und Frauen, für Muslime und Andersgläubige, für Schweizer und Migranten von erster, zweiter oder dritter Generation.
Aber oft sind in den Moscheen Männer und Frauen getrennt, beispielsweise beim Gebet.
Beim Gebet gibt es natürlich gewisse Regeln und Rituale. Ausserhalb der religiösen Gebete gibt es sehr viele Aktivitäten, wo gemischt gearbeitet wird. Die Frauen sind aktiv in den Vereinen und tragen auch Verantwortung als Vizepräsidenten von Dachverbänden. Ich glaube, dass es eine positive Dynamik gibt, und die müssen wir weiter verstärken. Das ist uns wichtig.
Der Begriff «Reformislam» erinnert an die christliche Reformation vor 500 Jahren. Stört Sie der Vergleich mit dem Christentum?
Man kann die islamische Reform nicht direkt mit der christlichen Reformation vergleichen. Die Reform im Islam ist ein permanenter Prozess und hat vor 13 Jahrhunderten begonnen. Die verschiedenen Deutungen des Islams ändern sich ständig, mit jeder Generation. Als Muslime sind wir durch unsere Religion verpflichtet, die Mitteilung Gottes sowie das Beispiel der Propheten in jeder Generation zeitgemäss zu deuten.
Wie hat sich denn Islam reformiert?
Reform und kritische Analyse ist bei den Muslimen mehr als 1000 Jahre alt. Eine Analyse der mündlichen prophetischen Tradition, dem Hadith, wurde sehr früh rigoros geführt.
Es gab ziemlich früh eine Dynamik der Reform, mit der Integration der Logik und der griechischen Philosophie zwischen dem 9. und dem 15. Jahrhundert, mit bekannten Denkern wie Al-Kindi, Averroës, Avicenna oder Ibn Chaldūn. Da hat es eine starke Dynamik der Reform gegeben. Der Islam hat sich über die Jahrhunderte je nach Region und Bevölkerung verändert.
Wie soll die islamische Reform weitergehen?
Es sollte nicht nur Themen beinhalten, die medial «in» sind. Die Reform geht nicht über die Rituale, sondern eher über neue Interpretationen zu wichtigen sozialen und wissenschaftlichen Fragen. Wichtig ist, dass eine Reform innerislamisch mit einem breiten Konsens stattfindet und nicht aufgrund von neuen Gruppierungen ohne Basis passiert. Externe Reformen durch Kolonialismus haben damals keine Akzeptanz erhalten, sondern eher Spannungen generiert.
Das Gespräch führte Jana Füglistaler.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Blickpunkt Religion, 19.11.2017, 8.08 Uhr