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Gesellschaft & Religion «Regulierungen machen eine Stadt enger – nicht fehlende Flächen»

Am 21. Juni 1988 wurde die «Alte Stadtgärtnerei» in Basel geräumt – Jugendliche hatten sie als selbstbestimmten, kulturellen Freiraum besetzt. Seither kommen und verschwinden solche alternativen Kulturräume. Ein Gespräch mit dem Raumplaner und Initiant des Basler «nt-Areals» Philippe Cabane.

Welche Bedeutung haben Räume, die zwischenzeitlich von Jugendbewegungen besetzt werden, für eine Stadt?

Es sind Möglichkeitsräume. Das heisst öffentliche Räume, die nicht oder kaum kontrolliert sind, und damit kreatives Handeln möglich machen. Etwa für Jugendlichen und Kulturschaffende: Jene Gruppen, die für gewöhnlich nicht leicht zu eigenen Räumen kommen.

Gibt es Beispiele, bei denen sich aus temporär besetzten Räumen neue Strukturen etablieren?

Das passiert praktisch überall. Zwischennutzungen werden von aussen als rechtsfreie Räume wahrgenommen – das ist eine Illusion. Wenn eine Gruppe von Personen einen Ort dauerhaft nutzt, werden diese sich früher oder später selbst wieder eine Ordnung geben. Auf dem «nt-Areal» in Basel habe ich etwa jahrelang gegen Zäune gekämpft, mit denen jeder sein Gärtchen absteckte: Die meisten versuchen, sobald sie ein kleines Territorium haben, dieses abzugrenzen.

Die Alte Stadtgärtnerei

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Legende: Keystone

Es war ein soziales und künstlerisches Experiment: Junge Menschen nutzten die Alte Stadtgärtnerei (ASG) in Basler St.Johann-Quartier ab 1986 als selbstbestimmtes Kulturzentrum. Am 21. Juni 1988 räumte die Polizei das Gelände – weil dort ein Stadtpark geplant war. Ein Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der Räumung.

Die «Alte Stadtgärtnerei» (ASG) war in meinen Augen interessant, weil sie wirklich nicht nur ein Freiraum, sondern auch eine Freifläche war: Ein öffentlicher Garten, in dem jeder ein- und ausgehen konnte. Dadurch bestand ein anderer Zwang offen zu sein, als etwa in einem besetzten Haus. Die ASG stand am Übergang zwischen der radikalen Szene, wie sie in den Alternativen Jugendzentren (AJZ) vertreten war, und einer konstruktiveren Art und Weise, sich über das Quartierleben Gedanken zu machen. Das öffnete auch die Möglichkeit zur Kommerzialisierung von alternativen Kulturräumen: Später entwickeln sich die sogenannten «Cultural Entrepreneurships». Ein Beispiel ist das «unternehmen mitte» in Basel, das sich selbst Unternehmen nennt, in dessen Räumen aber kein Konsumationszwang herrscht.

Mehr und mehr Freiräume verschwinden – weil sie weichen müssen oder weil sie sich zu festen Institutionen etablieren. Ist diese Einschätzung richtig?

Da wäre ich vorsichtig. Klar, in Quartieren, die unter Immobiliendruck geraten, verschwinden Freiräume. Aber es werden auch wieder neue Gebiete der Stadt erschlossen. Beim «nt-Areal» zum Beispiel meinten anfangs viele: Spinnt ihr, ein Projekt so weit ausserhalb der Stadt zu machen? Zehn Jahre später hiess es: Das «nt-Areal» liegt doch mitten in der Stadt.

Philippe Cabane

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Legende: ZVG

Befasst sich nicht nur als Soziologe, Raumplaner und Berater mit Zwischennutzungen von Freiräumen: Philippe Cabane war auch einer der Initianten des kulturell und gastronomisch genutzten «nt-Areals» auf einem stillgelegten Güterbahnhof in Basel. Dieses musste Wohnhäusern weichen.

Es sind nicht die fehlenden Flächen, sondern die Rahmenbedingungen, die Freiräume einer Stadt enger machen: Wir haben etwa eine hohe Dichte an Regulierungen, wie zum Beispiel Lärmschutz und Rauchverbot. Aber wenn ich Basel betrachte, denke ich, es ist trotzdem nicht wenig los – und in anderen Schweizer Städten auch. Freiräume müssen immer auch erkämpft werden.

Welche Bedeutung haben selbstbestimmte Räume für die Kulturproduktion?

Die Kulturproduktion in der Schweiz ist extrem privilegiert. Ich sage das etwas ketzerisch: Wenn man Stadtentwicklung will, sollte vielleicht besser ein guter Bäcker gesucht werden, als Kulturschaffende oder Architekturbüros. Eine tolle Bäckerei dient einem Quartier mehr als die Kreativwirtschaft.

Aber natürlich sind «Off-Spaces» für die Kulturproduktion nach wie vor extrem wichtig. Das sind meist die Räume, wo das Unvorhergesehene möglich wird – die Innovationsküchen. Weil informelle Räume kaum subventioniert sind, brauchen sie auch keinen Leistungsnachweis zu erbringen.

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