Paris. Nizza. Wien. Die islamistischen Attentate der letzten Wochen beschäftigen nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder. Sie haben Fragen und Vorurteile – und tragen diese in die Schule.
Das zeigt eine neue Studie der Pädagogischen Hochschulen Freiburg und Lausanne, die an einer Tagung der PH Freiburg und des Zentrums für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg vorgestellt wurde. Die Autorinnen haben 37 Lehrerinnen und Lehrer in den drei Westschweizer Kantonen Freiburg, Waadt und Wallis zu ihren Erfahrungen mit dem neuen Religionsunterricht befragt, der seit 2014 im Lehrplan der Romandie steht.
Ausgrenzung beginnt bereits in der Primarschule
«Wir haben in den Interviews festgestellt, dass die terroristischen Attentate auch in der Primarschule ein Thema waren und die Lehrerinnen und Lehrer beschäftigen», sagt Petra Bleisch Bouzar, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und eine der Autorinnen der Studie.
Denn schon Primarschulkinder fragen sich: Warum bringt ein Attentäter wahllos Menschen um? Ausserdem haben sie Vorurteile: «Die Kinder hatten die Vorstellung, alle Muslime seien Terroristen. Und sie haben ihre muslimischen Mitschülerinnen und Mitschüler verbal attackiert.»
Überforderung bei den Lehrerinnen und Lehrern
Eine Lehrerin berichtete von einem Schüler, der vom Fussballspiel ausgeschlossen wurde, weil er Muslim war. Die Lehrerin war bestürzt, zumal sie im Religionsunterricht eigentlich das friedliche Zusammenleben und den gegenseitigen Respekt vermitteln wollte.
Attentäter, die im Namen der Religion Menschen umbringen, und Schülerinnen und Schüler, die Frage und Vorurteile in den Unterricht tragen: für Lehrerinnen und Lehrer eine schwierige Situation. «Es gab Lehrpersonen, die das gut handhaben konnten. Andere haben sich überfordert gefühlt – zu wenig gut vorbereitet und ausgebildet», sagt Petra Bleisch Bouzar .
Petra Bleisch Bouzar sieht deshalb Handlungsbedarf: «Tatsächlich glaube ich, dass wir den Lehrerinnen und Lehrern in der Ausbildung mehr Werkzeuge in die Hand geben müssen, um mit derartigen Situationen umzugehen.»
Kleinere Kinder können Attentate nicht einordnen
Einerseits bräuchten sie Strategien für die Krisenbewältigung – Instrumente, um die Kinder emotional abzuholen. Denn gerade kleinere Kinder im Primarschulalter könnten Ereignisse wie Attentate nicht einordnen und seien stark verunsichert.
Andererseits fehle es aber auch an Wissen über den Islam: «Die Lehrerinnen und Lehrer brauchen Strategien, um sich so schnell wie möglich Hintergrundwissen anzueignen, um solche Ereignisse einordnen zu können», sagt Dozentin Petra Bleisch Bouzar.
Keine Wissensvermittlung durch Gewalt-Schablone
Wäre es da nicht sinnvoll, dieses Wissen bereits in die Ausbildung einzubauen? Etwa ein Modul über «Islam und Gewalt» oder den «gewaltlosen Islam» anzubieten. Nein, sagt Petra Bleisch Bouzar: «Wir müssen aufpassen, dass wir den Islam nicht stets durch die Schablone von Gewalt und Konflikten vermitteln.»
Zumal die Lehrerinnen und Lehrer im Religionsunterricht primär aufzeigen wollen, dass ein Miteinander der Religionen möglich ist. Auch das zeigt die Studie. Mit besseren Werkzeugen, ist Petra Bleisch Bouzar überzeugt, sollte das auch gelingen. Und zwar nicht nur in der Romandie, sondern in der ganzen Schweiz.