Der Röstigraben geht auch durchs Wallis – und er scheint tiefer zu werden. Grund dafür ist ein massiver Bevölkerungszuwachs im französischsprachigen Unterwallis. Der Walliser CVP-Ständerat Beat Rieder weiss, was das für die Zukunft und Identität des deutschsprachigen Kantonteils bedeutet.
SRF: Gibt es so etwas wie eine Oberwalliser Identität?
Beat Rieder: Ja, sicher. Wir haben eine eigene Kultur und einen prägnanten Dialekt. Wir haben viele Seitentäler mit zwei, drei Zentren im Talgrund. Das macht das Oberwallis aus.
Zählt man hier das deutschsprachige Wallis zur Deutschschweiz?
Wir zählen uns nicht zur Deutschschweiz. Wir sind räumlich getrennt durch die Berge, durch unsere Kultur und Identität. Zudem sind wir ein zweisprachiger Kanton. Mit der Deutschschweiz haben wir keinen direkten integrativen Kontakt. Das zeigt sich schon an der Bezeichnung «Üsserschwiizer».
Nach meiner Einschätzung werden die Konflikte nicht kleiner, sondern grösser.
Gibt es spezifische Oberwalliser Themen, die Sie in Bern als Ständerat zur Sprache bringen?
Ich vertrete den ganzen Kanton Wallis im Parlament. Das Unterwallis ist genau gleich wie das Oberwallis angewiesen auf jemanden mit deutscher Zunge in Bern.
Die politischen Schwerpunkt-Themen sind im Unter- und Oberwallis identisch: Tourismus, Verkehr, Energie, Wirtschaftsförderung. Klar, es gibt Nuancen. Aber grundsätzlich haben wir innerhalb des Wallis selten Interessenkollisionen auf eidgenössischer Ebene.
Wie ist denn das Verhältnis zwischen Ober- und Unterwallis in der kantonalen Politik?
Da gibt es grosse Reibungspunkte, die immer wieder zu Konflikten führen. Nach meiner Einschätzung werden die Konflikte nicht kleiner, sondern grösser.
Es wird härter im politischen Kampf um die Ressourcen für das Oberwallis.
Was sind das für Konflikte?
Es geht um die Mittelverteilung, die der Kanton machen muss. Wir sind ja ein Nehmerkanton. Das Wallis erhält viel Geld aus dem Finanzausgleich. Und diese Mittel werden im Wallis ungleich verteilt.
Das Oberwallis ist da nicht immer auf der guten Seite. Auch bei der Verteilung der politischen Ämter wird das Oberwallis immer um seine Stellung kämpfen müssen, weil wir im Oberwallis bevölkerungsmässig nur wenig wachsen.
Die Unterwalliser Bevölkerung hingegen ist explodiert. Wir haben eine grosse Zuwanderung im Chablais von der Genferseeregion her. Das verändert den Charakter des Unterwallis massiv.
Inwiefern?
Die Zuwanderer im Chablais sind eher städtisch geprägte Menschen, die das Wallis mit seinen Traditionen nicht so kennen. Das Wallis ist ein Bergkanton mit Bergtälern. Wir sind eher rau, nicht so offen und direkt.
Das Bevölkerungswachstum im Unterwallis und die wachsenden Mentalitätsunterschiede haben dazu geführt, dass sich das gesamte politische Kräfteverhältnis langsam aber sicher Richtung Unterwallis gedreht hat. Das heisst: Es wird härter im politischen Kampf um die Ressourcen für das Oberwallis.
Hat das Wallis ein Problem mit der Abwanderung?
Ein massives Problem. Wir haben in den Bergtälern weniger Jobs für Akademiker. Wir verlieren die besten Leute in die Deutschschweiz oder in die Westschweiz, und zwar im Unter- und Oberwallis.
Wir haben ein wenig aufgerüstet mit dem Bildungswesen, mit den Fachhochschulen, mit der Ansiedlung von Industrie. Wir haben mit der Lonza ein erfolgreiches Chemie-Unternehmen im Oberwallis.
Das gibt eine gewisse Breite an Jobs, auch bessere Jobs. Aber trotzdem: In meinem Wohnort Wiler im Lötschental sind die meisten Akademiker weg.
Wenn die Jungen wegziehen, schwindet dann auch das Interesse für die Identität und Herkunft?
Nehmen wir etwa den Dialekt. Wenn Sie meine Eltern Walliserdeutsch sprechen hören und dann mit den Jungen reden – da sind Welten dazwischen. Das verändert sich im Lötschental, im Oberwallis und im Wallis.
Die Verbindung zur Kultur und Identität hat abgenommen. Die Jungen sind anders orientiert und werden das auch so weiterführen. Manch einer möchte hier gerne das Idyll der Vergangenheit finden. Aber das gibt es nicht mehr.
Das Gespräch führte Sarah Herwig.