Zum Inhalt springen

Romance Scam Nach Liebesbetrug im Netz: Ein Opfer schlägt zurück

Helga Grotheer fiel vor 14 Jahren auf einen Liebesbetrüger herein. Heute versucht sie, Opfer zu warnen – und die Täter zu überlisten.

Südländischer Typ, graues Haar, sportliche Figur: Der Mann auf dem Foto gefällt Helga Grotheer sofort. Er hat sie auf einer Online-Datingseite angeschrieben, damals im Frühling 2008.

Beide sind alleinerziehend und auf der Suche nach einer festen Beziehung. Beide haben Söhne im selben Alter. Zwischen den beiden passt alles. Zumindest scheint es so.

Mittags chatten, abends telefonieren

Schnell entwickelt sich zwischen Steve Thomson, einem Mann Anfang 50 aus England, und der damals 48-jährigen Bremerin Helga Grotheer eine intensive Fernbeziehung. Wenn sie am Morgen aufsteht und ihren Computer hochfährt, weiss sie: Im Posteingang wird eine Mail von Steve sein.

Eine blondierte Frau, lächelnd.
Legende: Ihre Gefühle waren echt, ihr Geliebter aber ein Schwindler: Helga Grotheer wurde Opfer eines Romance Scammers – und nur zufällig nicht um ihr Geld betrogen. SWR / Nachtcafé

In der Mittagspause chatten die beiden, abends telefonieren sie. So geht das wochenlang. Jeden Tag. Sie teilen ihren Alltag. Sie planen ein gemeinsames Leben – obwohl sie sich nie persönlich begegnet sind.

Dieser intensive Kontakt per E-Mail, Chat und Telefon ist typisch für Liebesbetrüger im Internet, sogenannte Romance Scammer. «Die Betrüger schleichen sich langsam in das Leben ihrer Opfer und gewinnen ihr Vertrauen», sagt Carmen Surber, Pressesprecherin der Kantonspolizei Zürich.

Die Scammer- Profile sind Fake

Treffen im echten Leben versprechen die Scammer zwar. Doch aus irgendwelchen Gründen können diese Treffen immer erst in ferner Zukunft stattfinden. In der Zwischenzeit tauschen die Scammer und ihre Opfer Fotos aus. Doch die Bilder von gutaussehenden Männern und Frauen sind allesamt Fake, geklaute Fotos aus dem Netz.

Männer schämen sich noch mehr als Frauen, wenn sie auf eine Betrügerin reingefallen sind.
Autor: Helga Grotheer

Auch der Mann auf dem Motorrad, der Helga Grotheer so gut gefällt, ist nicht der Mann, mit dem sie chattet und telefoniert. Doch das weiss sie damals noch nicht. Sie hat sich in Steve Thomson verliebt. Wenn sie miteinander telefonieren, schlägt ihr Herz schneller.

Schwer bezifferbarer Schaden

Wie viele Menschen in der Schweiz Opfer solcher Romance Scams werden, ist schwer zu sagen. Die Nachrichtenagentur SDA hat dazu im Juli dieses Jahres eine Umfrage unter Schweizer Kantonspolizeien gemacht.

Das Ergebnis: Bis Juli, also innerhalb eines guten halben Jahres, haben Romance Scammer mehr als vier Millionen Franken von Menschen aus der Schweiz erbeutet.

Doch die Dunkelziffer sei hoch, sagt Carmen Surber von der Kantonspolizei Zürich. Schliesslich schämten sich viele, wenn sie auf einen Betrüger hereinfallen. Opfer, sagt Surber, seien oft Frauen ab 40. Viele seien nach einer Scheidung oder dem Tod des Partners auf der Suche nach der grossen Liebe.

Manche Opfer müssen Sozialhilfe beantragen

Aber auch Männer werden Opfer. Helga Grotheer, heute eine Expertin für Romance Scams, ist überzeugt: «Männer schämen sich noch mehr als Frauen, wenn sie auf eine Betrügerin hereingefallen sind.» Sie schätzt, dass rund 30 Prozent der Opfer Männer sind.

Ob männlich oder weiblich: Die Betroffenen verlieren oft jede Menge Geld. Genaue Angaben zu den Summen kann Carmen Surber von der Kantonspolizei Zürich nicht machen.

«Manche Leute zahlen hohe Geldbeträge und nehmen dafür sogar einen Kredit auf», sagt sie nur. «Es gibt Fälle, wo es um Existenzen geht: Da haben die Opfer so viel gezahlt, dass sie kein Geld mehr haben und sich bei der Sozialhilfe melden müssen.»

Mit Nacktfotos erpresst

Die Masche der Scammer ist immer dieselbe: Sie erzählen ihren «Angebeteten» zum Beispiel, dass sie an Krebs erkrankt seien und Geld für die Behandlung bräuchten. Oder dass ihre Kreditkarten bei einem Arbeitseinsatz im Ausland gesperrt worden seien. Oder dass sie überfallen worden seien.

Wie erkennt man einen Romance Scam?

Box aufklappen Box zuklappen

Vorsichtig sollte man sein, wenn …

  • ein gut situierter, attraktiver Mensch aus dem Ausland plötzlich eine Fernbeziehung mit einem beginnen möchte
  • Treffen im echten Leben immer wieder verschoben werden
  • der Kontakt per Chat, Mail und Telefon sehr schnell sehr intensiv wird
  • das Gegenüber noch vor dem ersten Treffen von der grossen Liebe spricht
  • Geld gefordert wird oder man gebeten wird, Waren zu verschicken oder Pakete entgegenzunehmen
  • man gebeten wird, auf dem eigenen Konto Geld anzunehmen (Achtung Geldwäsche)

Wollen die Betroffenen trotz einer solchen vermeintlichen «Notsituation» nicht zahlen, erpressen manche Scammer sie: Haben Opfer den Betrügern schon mal intime Fotos von sich geschickt, drohen manche Scammer, die Bilder im Internet zu veröffentlichen.

Doch bei vielen ist es gar nicht nötig, zu solchen Mitteln zu greifen. Sie zahlen bereitwillig, sagt Carmen Surber von der Kantonspolizei Zürich: «Es ist manchmal wirklich schwierig, die Opfer zu überzeugen, dass sie auf Betrüger hereingefallen sind. Viele glauben das nicht, auch wenn sie tausende von Franken gezahlt haben.»

«Du wirst hier verarscht»

Dass Helga Grotheer kein Geld zahlt, verdankt sie dem Zufall. Aus Versehen gibt sie Steves E-Mail-Adresse in ihren Browser ein. Dadurch wird im Netz automatisch nach der Adresse gesucht.

Helga Grotheer entdeckt den Namen auf einer US-amerikanischen Seite, einem sogenannten Scambaiter-Forum. Scambaiter: So nennt man Menschen, die Scammer bekämpfen und vor ihnen warnen wollen.

Steve wird dort beschuldigt, ein Betrüger zu sein. «Ich konnte das einfach nicht glauben», erzählt Helga Grotheer heute. Erst als Steve Geld von ihr verlangt, wird ihr klar: Es stimmt, was dort steht. «Dieses Gefühl: Du wirst hier verarscht – das war so übermässig, dass ich gar nicht mehr mit ihm schreiben konnte. Ich habe nur noch geheult.»

Vorläufer «Vorschussbetrug»

Helga Grotheer will wissen, wer der Mann, mit dem sie nun schon seit Monaten ihr Leben teilt, in Wirklichkeit ist. Mithilfe der amerikanischen Scambaiterinnen findet sie heraus: Ihr Scammer sitzt in Nigeria.

Das ist typisch. Zwar können Internet-Betrüger grundsätzlich von überallher aktiv werden. Doch in Westafrika sind Romance Scams weit verbreitet. Hotspots sind neben Nigeria: Ghana, Togo und die Elfenbeinküste.

Hier hat sich eine bestimmte Form des Betrugs verbreitet: der sogenannte Vorschussbetrug. Entwickelt wurde er im 19. Jahrhundert in den USA. In den 1980er-Jahren erfuhr er eine Art Renaissance in Westafrika, vor allem in Nigeria, sagt der Ethnologe Jan Beek. Er lehrt an der Universität Mainz und hat selbst in Ghana zu Romance Scams geforscht.

Wenn der grosse Gewinn lockt

Beim Vorschussbetrug wird den Opfern gesagt, sie müssten erst einmal eine kleine Summe Geld «vorschiessen», um später den ganz grossen Gewinn zu machen.

Zum Beispiel, dass sie nur ein paar Zollgebühren begleichen müssten, um an einen Goldschatz oder ein Erbe zu kommen. «In den 1980er-Jahren haben Betrüger in Nigeria zuerst Briefe geschrieben, später auch Faxe und E-Mails.

Ein Mann mit Brille und Kurzhaarschnitt.
Legende: «Die Scammerinnen und Scammer suchen global nach Opfern», weiss der Ethnologe Jan Beek, der vor allem in Afrika zum Thema Romance Scams forscht. ZVG

In dieser Zeit sind die Vorschussbetrug-Formate entstanden, die weit bekannt sind: Zum Beispiel die Geschichte von einem nigerianischen Prinzen, der einem viel Geld schenken kann, wenn man ihm einen kleinen Vorschuss überweist.

Eines dieser Betrugsformate ist der Romance Scam. Laut Jan Beek ist der Online-Liebesbetrug seit etwa zehn Jahren in Westafrika weit verbreitet. Ihre Opfer suchen sich die Scammer längst nicht nur in Europa und den USA, erklärt Beek: «Die Scammerinnen und Scammer suchen global nach Opfern. Zum Beispiel in Asien. Viele Betrüger legen zum Beispiel Fake-Profile bei indischen Heiratsbörsen an. Die sind sehr flexibel auf der Suche.»

Romance Scammer sind überall

Deswegen sind Romance Scammer heute auch längst nicht nur auf Dating-Plattformen aktiv, sagt Helga Grotheer: «In den sozialen Medien, auf beruflichen Netzwerken wie Xing und LinkedIn, in Spielgruppen, Trauerforen oder auf Kochseiten – überall dort, wo man miteinander über Chat kommunizieren kann, gibt es Scammer.»

Sie selbst stellt ihren Scammer irgendwann zur Rede. Tatsächlich gibt er sich zu erkennen: Er ist ein Student aus Nigeria, 34 Jahre alt. Er sagt ihr, er habe das Geld für seine Studiengebühren gebraucht. Danach blockiert er sie.

Eine Frauen sitzen an ihren Computers.
Legende: Helga Grotheer mit einer ihrer Mitstreiterinnen bei der Arbeit. Gemeinsam versuchen sie, die Scammer zu beschäftigen und bestenfalls zu überführen. ZVG

Heute sagt Helga Grotheer: «Ich habe noch nie so viel gelacht mit einem Mann und noch nie so viel geweint um einen Mann.» Dass sich die vermeintlich grosse Liebe als Lüge entpuppt – diese Erfahrung möchte sie anderen ersparen. 2009 gründet sie ihr eigenes Scambaiter-Forum, auf Deutsch: RomanceScambaiter.de.

Strategie: Scammer ablenken

Darauf teilt sie geklaute Profilbilder von Scammern, E-Mail-Adressen und Kontonummern und warnt vor den Maschen der Betrüger. Und: Sie schreibt mit den Scammern. Gemeinsam mit rund 15 anderen Frauen, versucht sie die Betrüger so zu beschäftigen.

Sie hofft, dass die Scammer so weniger Zeit haben, echte Opfer auszunehmen. «Die müssen für uns zum Beispiel Papiere anfertigen. Wir wollen einen Ausweis sehen, eine Darlehensvollmacht haben, Verträge von Maschinen und so weiter. Damit die Scammer etwas zu tun haben.»

Wo bekomme ich Hilfe?

Box aufklappen Box zuklappen

Helga Grotheer und ihre Mitstreiterinnen helfen aber auch dabei, dass zumindest die Helfershelfer der Scammer verhaftet werden. Dafür müssen sie oft monatelang mit einem Scammer hin- und herschreiben. Solange, bis er von sich aus eine Geldübergabe vorschlägt.

«Wir dürfen das nicht selbst vorschlagen. Das wäre eine Verleitung zu einer Straftat. Dann würde die Polizei nicht ermitteln.» Bei der Geldübergabe nehmen dann Polizeibeamte den Komplizen des Scammers fest.  Helga Grotheer hat so schon dabei mitgeholfen, mehr als 70 Helfershelfer zu verhaften.

Fast ein Happy End 

Wütend auf ihren eigenen Scammer ist sie nach all den Jahren übrigens nicht mehr: «Den habe ich schon längst abgehakt. Ich war damals wütend, weil er mit meinen Gefühlen gespielt hat.»

Wie gut manche Scammer das können, wie überzeugend ihre Geschichten sind, das verblüfft Helga Grotheer auch heute noch – obwohl sie die Maschen der Betrüger in- und auswendig kennt: «Manchmal habe ich so gute Scammer! Dann denke ich: Wenn ich mich mit dem Thema nicht so gut auskennen würde, würde ich jetzt zur Bank gehen und Geld überweisen.»     

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 2.12.2022, 9:03 Uhr

Meistgelesene Artikel