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Der Kult der Tyrannen
Aus Kontext vom 08.06.2020. Bild: Keystone / EPA / WU HONG
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Sachbuch über Diktatoren Diktator sein – ein Stressjob, der einsam macht

Im brillanten Buch «Diktator werden» porträtiert Historiker Frank Dikötter acht der übelsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts. Fünf Fragen greifen wir hier auf.

1. Wie gelangten die Diktatoren an die Macht?

Ob Mussolini, Hitler, Stalin, Mao Zedong, Kim Il-sung oder Ceaușescu: Frank Dikötter weist in allen Porträts von acht ausgewählten Diktatoren des letzten Jahrhunderts nach, dass zwei Dinge zusammenkommen mussten.

Erstens brauchte es eine Krise, für welche sich der potenzielle Diktator als «Retter» in Position bringen konnte. Mussolini etwa inszenierte sich in Italien nach dem Ersten Weltkrieg als jene Kraft, die als einzige einen vermeintlich bevorstehenden kommunistischen Umsturz zu verhindern vermöge.

Zweitens musste ein Diktator auch über einen untrüglichen Machtinstinkt verfügen. So verstand es der «Duce», bestehende politische Mechanismen für sich nutzbar zu machen: Er baute das perfekte Mass an politischem Druck auf, sodass der König den Faschisten schliesslich zum Regierungschef ernannte.

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«Der gute Duce» – Mussolinis Erbe
aus Kontext vom 19.03.2020. Bild: Keystone / AP NY
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2. Wie hielten sich Diktatoren an der Macht?

Einmal an der Macht, begann für alle Diktatoren ein nicht enden wollender Stress: Es galt, einem Volksaufstand oder einem Staatsstreich durch Rivalen im Umfeld zuvorzukommen.

Dazu bedienten sich alle Diktatoren loyaler Streitkräfte, der Geheimpolizei und einer Armada von Vernehmern und Folterknechten, die Angst und Schrecken verbreiteten. Mindestens so wichtig war jedoch auch der Personenkult, der oft groteske Züge annehmen konnte.

Das Ziel von Postern, Statuen, Medienberichten und Massenaufmärschen zur Verehrung des grossen «Anführers» war stets dasselbe: Verwirrung stiften. Alle mussten dem Diktator huldigen – Anhänger wie Kritiker. Wer sich weigerte, handelte sich Repressalien ein.

Niemand wusste in den Diktaturen, schreibt Dikötter, «wer tatsächlich log, was es schwieriger machte, Komplizen zu finden und einen Staatsstreich zu organisieren».

Buchhinweis

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Frank Dikötter: «Diktator werden. Populismus, Personenkult und die Wege zur Macht.» Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Heike Schlatterer. Klett-Cotta, 2020.

3. Wie veränderte die Macht die Diktatoren selbst?

Für Diktatoren gab es nach der Machtergreifung kein Zurück mehr. Eine Rückkehr in eine «bürgerliche Existenz» war für immer verbaut.

An ihren Händen klebte das Blut jener, welche zu Opfern des jeweiligen Diktators geworden waren. Es würde von den Hinterbliebenen zweifelsohne gerächt.

So wurden die Diktatoren allesamt zu Kontrollfreaks und vereinsamten. Sie hatten nur noch Schmeichler, Heuchler und Lügner um sich herum. So war etwa Ceaușescu gegen alle und alles argwöhnisch, während er sich gleichzeitig als «allerliebsten Sohn des Volks» feiern liess.

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«Ceausescu war für Rumänien eine einzige Katastrophe»
aus Zeitblende vom 28.03.2015. Bild: Keystone
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4. Weshalb gab es keine Diktatorinnen?

Diese Frage beantwortet Frank Dikötter in seinem Buch nicht explizit. Die Darstellung legt jedoch den Schluss nahe, dass das Fehlen von Diktatorinnen kaum eine genetische Frage darstellt.

Entscheidender waren wohl die ungleichen Chancen der Geschlechter im 20. Jahrhundert: Alle acht porträtierten Diktatoren gelangten in einer Welt an die Macht, die politisch noch überwiegend von Männern dominiert wurde.

5. Sind wir unterwegs zu neuen Diktaturen?

Gemäss Frank Dikötter wird der Begriff «Personenkult» heute geradezu inflationär gebraucht, um auf die Gefahr von Populisten wie Trump, Erdogan oder Putin hinzuweisen. Derartige Vergleiche würden jedoch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts verharmlosen.

Mit Ausnahme von Nordkorea herrsche in keinem Land der Erde eine Terrormaschinerie vom Zuschnitt der beschriebenen Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Dennoch, schreibt Dikötter, nehme der Personenkult etwa in der Türkei oder in China zu.

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Aus 10 vor 10 vom 13.01.2017.
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Es gelte, auf der Hut zu sein: Keine Diktatur sei «über Nacht errichtet» worden. Und so habe das alte Bonmot, wonach «ewige Wachsamkeit» eben «der Preis der Freiheit» sei, noch immer Gültigkeit.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 08.06.2020, 9:06 Uhr; Radio SRF 1, Aktualität, 21.06.2020, 14 Uhr

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