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Sachbuch «Welt im Lockdown» Ökonom über Corona-Krise: «Es kommt noch schlimmer»

Der Ökonom Adam Tooze zeigt in seinem Buch «Welt im Lockdown», wie die Finanzmärkte die Corona-Krise meisterten – und wie wenig sie daraus gelernt haben.

Es ging alles ungeheuer schnell im Frühjahr 2020. Mit einer Beschleunigung, die einmalig in der Geschichte ist, brachen zu Beginn der Pandemie die Anlagemärkte ein, die Arbeitslosigkeit schoss in dramatische Höhen.

Auf dem Flughafen Heathrow schrumpfte das Verkehrsaufkommen gegen Null. Kreditkartenkonten kamen zum Erliegen. Die Weltwirtschaft taumelte am Abgrund.

Nicht die Virusbekämpfung steht im Mittelpunkt des neuen Buches, das der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze mitten in der Corona-Pandemie vorlegt. Stattdessen analysiert Tooze, der an der New Yorker Columbia-Universität lehrt, die Dynamik ökonomischer Prozesse und deren Folgen.

Die Stunde der Zentralbanken

Rasch gab es Bemühungen, die internationalen Finanzmärkte zu stützen. Zentralbanker begründeten ihre Interventionen mit der Notwendigkeit, die Integrität der Finanzmärkte zu wahren – als ob dies ein legitimeres Ziel wäre, als das Leben der Menschen zu verbessern.

Diese Verbesserung wurde durch das Kurzarbeitergeld herbeigeführt, das in sehr kurzer Zeit in Deutschland eingeführt wurde. Andere EU-Länder zogen dann schrittweise nach.

Noch vorher schlug die Stunde der amerikanischen Zentralbank. Tooze beschreibt dieses Werkzeug der Pandemie-Bekämpfung als Wall-Street-Effekt: Die Zentralbanken pumpten Liquidität in die Finanzmärkte, indem sie auch viele private Schuldpapiere von grossen Unternehmen aufkauften.

Leerer Börsenraum
Legende: Finanzmärkte in der Corona-Krise: Der leere New York Stock Exchange im März 2020. Keystone / KEARNEY FERGUSON

Eine konservative Revolution

Das Ausmass der staatlichen Eingriffe in die Finanzwirtschaft kam einer Revolution gleich, so Adam Tooze. Gerade konservative Regierungen ergriffen radikale Massnahmen, die sonst eher vom linken politischen Lager gefordert wurden.

Federführend waren der Internationale Währungsfond und die Weltbank. Das Ausmass der staatlichen Interventionen war so gross, dass Tooze es eine Revolution nennt – eine zutiefst konservative Revolution, die den Wirtschaftshistoriker faszinierte.

Er finde es interessant, sagt Tooze, dass gerade konservative Politiker auf «Augenhöhe mit der Zeit» seien, wie die grüne Partei es in ihrem Programm in diesem Jahr so schön gesagt habe. «Das ist konservative Politik auf Augenhöhe mit der Zeit. Und das ist eine Politik, die in diesem Sinne auch konsequent radikal sein muss.»

Der Corona-Schock und die Folgen

In seiner weiteren Analyse beschreibt Tooze das wachsende soziale Gefälle in der Welt. Es habe eine Zweiteilung gegeben zwischen Ländern, die ihre Ökonomien abfedern konnten und denen, die dazu nicht in der Lage waren.

Auch vermisst Tooze einen globalen Konsens über eine weltweite Impfstoffproduktion, die in einer konzertierten Aktion, die lebenswichtigen Vakzine bereitstellt.

Aufgrund seiner Analyse blickt Tooze mit Sorge in die Zukunft. Er prophezeit weitere «pandemische Störfälle», die weitaus verheerender sein dürften, wenn wir uns nicht genügend darauf vorbereiten: «Es kommt noch extremer, es kommt noch schlimmer, es kommt noch grösser, schneller, als man es vor 2020 prophezeit hatte», sagt Tooze. Das habe sich krachend bewahrheitet. Die Spezialisten für Pandemien hätten alle recht, und sie hätten nach wie vor recht: «Sie sagen uns, dass das wirklich nur der Anfang ist.»

Buchhinweis

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Adam Tooze: «Welt im Lockdown. Die globale Krise und die Folgen». C. H. Beck, 2021.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 29.10.2021, 17:10 Uhr.

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