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Schauspieler und Buchautor Joachim Meyerhoff: Wenn das Leben zu wild ist, hilft nur Fiktion

Joachim Meyerhoffs Leben klingt wie Literatur. Seit 2011 schreibt er darüber – und füllt die Lücken mit Erfundenem. Aus Notwendigkeit, aber auch aus Spass am Verwirrspiel.

Aufgewachsen auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik, der frühe Unfalltod seines Bruders, Legasthenie, ein Hirnschlag vor sieben Jahren: Joachim Meyerhoffs Biografie trägt die Dramaturgie eines Romans bereits in sich.

Zur Person

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Joachim Meyerhoff wurde 1967 in Homburg an der Saar geboren und ist in Schleswig-Holstein auf dem Gelände einer Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgewachsen, wo sein Vater Klinikdirektor war.

Während er mit 17 Jahren ein Austauschjahr in Amerika verbringt, stirbt einer seiner älteren Brüder bei einem Autounfall. Nach seiner Rückkehr aus Amerika beginnt er 1989 eine dreijährige Schauspielausbildung in München. Anschliessend erhält er verschiedene Engagements und Anstellungen.

Seit 2005 gehört Meyerhoff zum Ensemble des Wiener Burgtheaters und seit 2013 ist er Mitglied eines Ensembles des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. 2007 erhielt er den Titel «Schauspieler des Jahres» für seine Rolle in Shakespeares «Viel Lärm um nichts».

Auch als Schriftsteller ist Meyerhoff erfolgreich. Er schreibt über sein Leben in einer mehrteiligen Autobiografie, deren erster Teil 2011 unter dem Titel «Alle Toten fliegen hoch – Amerika» erschien und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Das Projekt führte er selbst im Burgtheater Wien auf. Joachim Meyerhoff lebt heute in Berlin und ist Vater von drei Kindern.

Anrührend und voller Selbstironie agiert er in bislang sechs autobiografischen Büchern als sensibler Chronist seines eigenen Lebens und der Welt um ihn herum. Unter dem Titel «Alle Toten fliegen hoch» macht er Misserfolg, Unglück, Scheitern scheinbar zum Erfolg.

Blutbruderschaft mit Hund

In einem Text, den er bereits als 7-jähriger Legastheniker geschrieben hat, gäbe es rund 15 verschiedene Varianten des Wortes «Aquarium», erzählt Meyerhoff. Als Kind hätte er zudem viel Energie und Zorn in sich gehabt, Zorn auf Ungerechtigkeiten, sodass ihn seine Brüder gerne mit «blonde Bombe» aufzogen.

Mann mit Brille in roter Jacke lehnt an Wand.
Legende: Joachim Meyerhoff füllt sowohl Bühnen als auch Bücher mit Leben. Die Frage, was davon echt ist und was erfunden, interessiert ihn dabei nicht wirklich. Keystone/DPA/Jens Kalaene

Das nächtliche Schreien der Patienten in der Psychiatrischen Klinik, wo sein Vater als Leiter agierte, dieses «Schreikonzert des Wahnsinns», habe er als Kind geliebt. Einmal sei er mit dem Familienhund in den Keller gegangen, weil er sich einsam fühlte und einen Freund brauchte. Dort habe er den Hund in die Pfote und sich in den Finger geritzt und Blutbruderschaft gefeiert. Später hätten seine Brüder gesagt, sie hätten das Gefühl, der Hund sei nun noch blöder als vorher.

Mit Erfundenem zum richtigen Leben

Inszeniert Meyerhoff sein Leben vielleicht nur als grosses Verwirrspiel? Oder spielt er, spielen wir alle, nicht immer eine Rolle? Er habe auf all den Wahnsinn in seinem Leben nicht immer eine authentische Antwort gehabt, sagt Meyerhoff. Aber durch die Fiktionalisierung habe er eine Art «Selbst-Mythos» geschaffen, worin Wahrheit und Fiktion enthalten seien.

Die Geschichten in seinen Büchern seien aus einem grossen, defizitären Gefühl des Authentischen mit der eigenen Existenz entstanden. In dieser Fiktion habe er viel Entlastung gefunden. Der frühe Tod seines Bruders, der Verlust des Vaters und der Grosseltern, all diese Brüche hätten ihn so an Grenzen gebracht, dass er sich an gewisse Dinge nicht mehr habe erinnern können. Erst über die Erfindung gewisser Dinge – auf der Bühne oder in seinen Büchern – seien vergessene Dinge plötzlich wieder aufgetaucht.

Lücken schliessen

Meyerhoff vergleicht es mit Demenzkranken: Menschen, die ins Vergessen geraten, wüssten zu Beginn sehr genau, dass ihnen Dinge, Ereignisse, abhandenkommen.

Diese Lücken werden dann durch Erfindungen geschlossen: «Also, wenn sich jemand anzieht und losgehen möchte, gefragt wird, wohin er gehen wolle, und dieser plötzlich nicht mehr weiss, was er eigentlich vorhatte, dann sagt er vielleicht, ich wollte nur kurz zur Bushaltestelle gehen, da ich dort einen Koffer liegengelassen habe.» Im Nachhinein werde die Realität durch Fiktion legitimiert; ein Verhalten, das mit dem schönen Begriff «Konfabulation» benannt würde.

Buchhinweise

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Joachim Meyerhoff:

  • «Alle Toten fliegen hoch», 2013,
  • «Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke», 2017,
  • «Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war», 2021,
  • «Hamster im hinteren Stromgebiet», 2022,
  • «Die Zweisamkeit der Einzelgänger», 2022,
  • «Man kann auch in die Höhe fallen», 2024,

Kiepenheuer & Witsch.

Für Meyerhoff gilt diese «Konfabulation» nicht nur für Demenzkranke: Ununterbrochen würden wir Wahrheiten für Dinge herstellen, die uns eigentlich ein Rätsel sind. Etwas Ähnliches geschehe ihm beim Schauspiel: Auch dort würde er durch das Spiel Zugang finden zu Aspekten des eigenen Wesens, die er sonst nicht entdecken oder unmittelbar verstehen würde.

Und beim Schreiben? «Dort schreibe ich die Realität schwindelig, bis sie ohnmächtig wird und sich erzählen lässt.»

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 21.9.2025, 11:00 Uhr

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