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Gesellschaft & Religion Schnee von gestern? Warum wir uns weisse Weihnachten wünschen

Viele verbinden Weihnachten mit Schnee, obwohl dieser im Mittelland an Heilig Abend kaum je liegt. Das Bild von weissen Weihnachten hält sich hartnäckig. Die Ursachen dafür reichen historisch weit zurück – und wurzeln in unseren tiefen Sehnsüchten.

«Leise rieselt der Schnee. Still und starr ruht der See. Weihnachtlich glänzet der Wald. Freue dich, Christkind kommt bald.» So heisst es im populären Weihnachtslied, das die verbreitete Sehnsucht nach tief verschneiten Feldern und Wäldern zur Weihnachtszeit auf den Punkt bringt.

In Tat und Wahrheit sind im Schweizer Mittelland weisse Weihnachten eher die Ausnahme. Laut Statistik ist die Wahrscheinlichkeit kleiner als ein Drittel, dass im Schweizer Mittelland an Heilig Abend, an Weihnachten oder am Stephanstag zumindest für ein paar Stunden einmal etwas Schnee liegt. Statt glitzerndem Weiss ist tristes Grün oder Braun der Normalfall.

Laut dem Berner Umwelthistoriker Christian Pfister sind geschlossene Schneedecken im Mittelland über die Jahrhunderte generell seltener geworden. Der Grund: Klimatische Veränderungen. «Während im ausgehenden 17. Jahrhundert noch an 64 Tagen im Jahr Schnee lag, war dies im 20. Jahrhundert lediglich noch durchschnittlich 46 Tagen der Fall», sagt Pfister. «Ab dem Jahr 2000 liegt der Wert bei gut 30 Tagen.» Dieser wissenschaftlich erhärtete Trend lässt die Wahrscheinlichkeit von weissen Weihnachten sinken.

Die Sehnsucht nach Licht

Wie aber lässt es sich erklären, dass sich die Vorstellung von weissen Weihnachten dennoch hartnäckig hält? Christine Burckhardt, emeritierte Professorin für Volkskunde an der Universität Basel, erklärt den Widerspruch mit der Metaphorik des Schnees. Dieser komme in der langen und dunklen Weihnachtszeit eine besondere Bedeutung zu.

Der weisse Schnee stehe für das Licht und die Wärme, die in den kalten Dezembernächten fehle und sich in der Weihnachtsnacht überdies mit der Erwartung von etwas Wunderbarem verbinde. «Die Sehnsucht nach Helligkeit und christlicher Erlösung hat die Vorstellung von weissen Weihnachten befördert», ist Burckhardt überzeugt.

Interessanterweise ist das Bild von weissen Weihnachten verhältnismässig neu. So finden sich in der biblischen Weihnachtsgeschichte keinerlei Hinweise darauf, dass der Stall zu Bethlehem verschneit gewesen wäre. Und auch während des Mittelalters gibt es kaum Darstellungen, welche die heilige Familie mit Schnee in Zusammenhang gebracht hätte.

Ein Produkt der Romantik

Erst im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der Romantik und des Biedermeiers, tauchen erstmals Bilder von weissen Weihnachten auf – etwa Darstellungen des Weihnachtsmanns, wie er durch den tief verschneiten deutschen Wald stapft.

Zu einem internationalen Massenphänomen wurde das Bild jedoch erst ab den 1940er-Jahren – durch den Song «White Christmas» des amerikanischen Komponisten Irving Berlin, gesungen von Bing Crosby.

Die beiden Musiker hätten die bereits bestehende Sehnsucht nach weissen Weihnachten in Worte und wunderbare Musik verpackt, sagt Burckhardt: «Hier erklang massenwirksam die Sehnsucht nach Weiss, nach unberührter Natur, nach Sanftem und Weichem.» Und diese Sehnsucht werde umso grösser, je seltener weisse Weihnachten in der Realität seien.

Getragen von der Werbung

Unterdessen trägt auch die Werbeindustrie das ihre dazu bei, dass sich die Vorstellung von weissen Weihnachten bis heute hartnäckig hält. Um im Weihnachtsgeschäft die Kassen klingeln zu lassen, scheint nicht nur in den USA, sondern auch in Europa die Werbung keinen Aufwand zu scheuen, um die kollektive Sehnsucht der Menschen zu bedienen.

Einmal geht ein Weihnachtsmann durch traumhafte Schneelandschaften, ein anderes Malt gleitet ein mit Paketen beladener Schlitten über eisige zugeschneite Strassen – stets wird jenes tief in der Seele verankerte Wunschbild von Weihnachten ewig gleich neu gezeichnet. Und dies, obwohl die Realität eine völlig andere ist.

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