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Schweizer Hochseeflotte Die Schweizer Flagge verschwindet langsam von den Weltmeeren

Hunderte Millionen kostete die Hochseeschifffahrt den Bund. Trotzdem soll die Schweiz als Seefahrtnation weiterbestehen.

Einst war sie der Stolz der Nation: Die Schweizer Hochseeflotte. Zur Blütezeit in den 1980er- und 1990er-Jahren kreuzten etwa 50 Hochseeschiffe unter Schweizer Flagge über die Weltmeere. Heute sind noch 17 Schiffe übrig. Bald könnte die Flotte ganz untergehen.

«Die Schweizer Flotte steht an einem Wendepunkt», sagt Andriu Bonnevie-Svendsen. Er ist CEO der Reederei Zürich AG. Die zweitgrösste Schweizer Reederei hisst noch bei einer Handvoll Handelsschiffen die Schweizer Flagge. Damit das so bleibt, muss die Schweizer wieder attraktiver werden für die Reedereien, betont Bonnevie-Svendsen.

Schifffahrtsstandort Schweiz

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In der Schweiz sind 60 Schifffahrtsunternehmen registriert. Zusammen betreiben sie über 900 Hochseeschiffe. Doch fast alle fahren unter fremden Flaggen von Offshore-Registern wie Bahamas, Marshall Islands, Liberia oder Panama.

Es braucht eine eigene Flotte

Dasselbe Ziel verfolgt Holger Schatz. Als Nationalsekretär der Gewerkschaft «Nautilus international» vertritt er die Interessen der Schiffscrews. Deren Wohl ist unter einer seriösen Flagge wie dem Schweizer Kreuz am besten gewahrt, ist Holger Schatz überzeugt.

Der Reeder Andriu Bonnevie-Svendsen wie auch der Gewerkschafter Holger Schatz sind überzeugt, die Schweiz als Seefahrtnation braucht eine eigene Flotte.

Teure Bürgschaften des Bundes

Diese Ansicht vertrat auch der Bundesrat während des Zweiten Weltkriegs. Er baute damals eine eigene Hochseeflotte auf. Sie sollte die Landesversorgung auf den Weltmeeren garantieren. Nach dem Krieg überliess der Bund die Schiffe privaten Reedereien.

Doch der Bund behielt sich das Recht vor, in Krisenzeiten auf die Schiffe zurückzugreifen, sie im Notfall auch zu enteignen. Im Gegenzug bürgte der Bund für die Schiffe, falls eine Reederei in Schwierigkeiten geraten sollten.

Schwarzweiss Aufnahme: Ein Schiff mit zwei Schweizer Kreuzen und dem Schriftzug «Switzerland».
Legende: Zum ersten Mal ein Meerdampfer unter der Flagge der Schweizer Flotte. Am 5. Mai 1941 fuhr die «Calanda» in den Hafen von Lissabon ein, Wikimedia / Nationalbibliothek / Annemarie Schwarzenbach

Das geschah vor wenigen Jahren. Eine Berner Reederei ging Konkurs und musste ein Dutzend Schiffe abstossen. Für die offenen Kredite musste der Bund mit über 200 Millionen Franken geradestehen. Einer Reederei aus Genf droht bald dasselbe. Dafür hat der Bundesrat bereits über 130 Millionen Franken zurückgestellt.

Schweizer Flagge als Schutz

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«Passiert einem Schiff unter einer fremden Flagge etwas, dann ist das Zusammenspiel mit Gewerkschaften, der staatlichen Kontrollbehörde und den Reedern nicht gegeben» sagt Gewerkschafter Holger Schatz. Ganz anders, wenn die Schweizer Flagge auf dem Schiff weht.

Ende Mai 2021 wurde der Tanker «San Padre Pio» von Nigeria nach jahrelangen Verhandlungen freigegeben. Drei Jahre zuvor war das Schiff im Golf von Guinea festgehalten worden wegen angeblichem illegalem Ölschmuggel.

Zu Unrecht, wie sich nun zeigte. Die Freigabe des unter Schweizer Flagge fahrenden Tankers gelang dank diplomatischen Verhandlungen auf Bundesebene.

Bei einem Fall von Piraterie gelang vor drei Jahren die Freilassung von zwölf Seeleuten dank dem Einschreiten von Gewerkschaft und Bundesbehörden.

Kein Bedarf mehr für die Landesversorgung

Im Zuge dieser Fälle liess der Bund die gesamte Schweizer Hochseeflotte und deren Bedeutung für die Landesversorgung überprüfen. Er kam zum Schluss: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Bund in Krisenzeiten auf die Flotte zurückgreifen muss, ist minim.

Aus diesem Grund beschloss der Bundesrat 2016, keine neuen Bürgschaften für die Schweizer Hochseeflotte zu gewähren.

Damit verlor der Reedereistandort Schweiz einen grossen Anreiz. Wie soll nun die Schweizer Flagge für Reedereien wieder attraktiv werden? Der Reeder Andriu Bonnevie-Svendsen wie auch der Gewerkschafter Holger Schatz sehen die Lösung in der Tonnagesteuer.

Ein Schiff im Hafen. Name und Standort «Basel» ist am Heck zu lesen. Vier Ladekrane ragen im Hintergrund.
Legende: Die «Charmey» im Hafen von Casablanca. Sie ist eines der 17 verbliebenen Schiffe, die unter Schweizer Flagge fährt. Wikimedia / Farid mernissi

Eine neue Steuer als Rettungsanker?

Bei der Tonnagesteuer gilt die Ladekapazität eines Schiffes als Grundlage für die Steuerberechnung. Gewinn und Verlust spielen bei dieser Pauschalsteuer keine Rolle.

Der Bundesrat unterstützt die Tonnagesteuer. Die Vernehmlassung der entsprechenden Vorlage ist im Februar abgeschlossen worden. Das Parlament soll noch dieses Jahr darüber entscheiden.

Im Parlament dürfte es die neue Steuer aber schwer haben. Auch in der Bevölkerung sind Pauschalsteuern nicht beliebt. Die Zukunft der Schweizer Hochseeschifffahrt bleibt weiterhin im Ungewissen.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 5.7.2021, 9:03 Uhr

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