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Seelenlandschaften-Ausstellung Hier liegt die Schweiz auf der Couch von C. G. Jung

In Zürich wird das Innenleben ausgestellt: Mit «Seelenlandschaften» zeigt das Landesmuseum, was passiert, wenn Denken kippt – und wie man versuchte, das Chaos zu bändigen – von den frühen Anstalten bis zu den Therapieräumen von heute.

Die Schweiz, Land der Ordnung und Übersicht – zeigt jetzt das Gegenteil: ihr Innenleben. Unter dem Titel «Seelenlandschaften» lädt das Landesmuseum zum Hinschauen – dorthin, wo’s unordentlich wird. Der Anlass: der Mann, der das Wort «Psyche» salonfähig machte – Carl Gustav Jung, 150 Jahre alt und erstaunlich lebendig. Er ahnte früh, dass der Mensch mehr ist als sein funktionierendes Ich.

Historisches Paarporträt in formeller Kleidung.
Legende: 1903 heiratet C. G. Jung Emma Rauschenbach, die selbst eine Pionierin der Tiefenpsychologie ist. Hier auf dem Verlobungsbild im Jahr 1902. Familienarchiv Jung, Küsnacht

Heute wäre Jung wohl kein Arzt mehr, sondern eine Marke. Einer mit Podcast und Tiktok-Kanal über Traumdeutung. Denn was er suchte – Selbsterkenntnis – ist längst zum Lifestyle geworden.

Das Unsichtbare sichtbar machen

Die Ausstellung beginnt mit Albträumen auf Öl (Füsslis «Nachtmahr») und den Anfängen der Psychiatrie. Es hängen Zwangsjacken, auch solche für Kinder: das frühe 20. Jahrhundert in seiner ganzen medizinischen Härte. Dann Traumbilder von Patientinnen: Kreise, Schlangen, Blumen – Versuche, das Unsichtbare zu zeichnen. Und Jungs legendäres «Rotes Buch», seine Expedition ins eigene Unbewusste, bebildert, kalligrafiert, von Hand.

Die Ausstellung zieht eine Linie von Rousseau bis heute: von der Idee der Selbstsuche zur Industrie der Selbstoptimierung. Alles kreist ums Ich – nur dass es inzwischen gelernt hat, dabei gut auszusehen. «In einer Zeit der Kriege, Krisen und sozialen Medien ist es gut, sich einmal um das eigene Ich zu kümmern», sagt Kurator Stefan Zweifel.

Das stimmt – und klingt gleichzeitig wie aus einem Achtsamkeits-Podcast. Denn kaum jemand sucht heute noch still in sich selbst. Man trackt, postet, misst. Man führt Tagebuch – auch für die Follower. «Wir leben in einer Zeit, in der alles optimiert werden muss – auch die Seele.

Man will schnelle Wirkung, wie im Fitnessstudio», sagt Zweifel: «Doch vielleicht ist der alte, langsame Weg der Psychoanalyse der ehrlichere.» In Zeiten von Selfcare und Selbstvermessung klingt das fast radikal: Sich kennen – statt sich zeigen. Sich aushalten – statt sich liken. Die Ausstellung ist eine Einladung: den frühen Seelenforschern zuzuhören – und selbst hinzusehen.

Die Schweiz als Labor der Seele

«Noch immer schämen sich viele, wenn sie psychische Probleme haben, und zögern, eine Therapie zu beginnen», sagt Zweifel. «Diese Schwellenangst kann man hier auf spielerische Weise überwinden.» Vielleicht, weil man hier lieber beobachtet als bekennt? Besucherinnen und Besucher ohne akute Therapiebedürfnisse staunen aus sicherer Distanz über die üppige Seelenforschungstradition dieses Landes.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Seelenlandschaften - C. G. Jung und die Entdeckung der Psyche in der Schweiz» ist noch bis zum 25. Februar 2026 im Landesmuseum Zürich zu sehen.

Das Land der Ordnung, der Präzision, der klaren Linien – und doch: ausgerechnet hier wurde das Chaos seziert. Rousseau, Nietzsche, Jung: Warum war die Schweiz immer wieder Heimat von so vielen Psychologie-Pionieren? Liegt’s an der Ruhe? Dem Reichtum? Den Kliniken? «Das ist ein Rätsel», sagt Zweifel: «Wir haben es nicht gelöst – vielleicht können es die Besucherinnen der Ausstellung lüften.» 

Der Museumsbesuch bleibt eine Suche – eine, die das Unsichtbare kurz sichtbar macht. «Wer glaubt, seine Seele genau zu kennen, ist mir verdächtig», sagt Zweifel. «Sie ist kein Besitz, sondern ein Prozess – man kann sie nicht finden, nur immer wieder suchen.» C. G. Jung glaubte: Man kann die Seele nur verstehen, wenn man hinschaut. Die Ausstellung erinnert daran, und zeigt gleichzeitig, wie schwer es sein kann, sich selbst zu begegnen.

SRF 1, Tagesschau, 17.10.2025, 19:30 Uhr ; 

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