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Sehnsuchtsort Gefängnis Wieso wollen so viele Menschen freiwillig in den Knast?

Ein paar Tage hinter Gittern: Vom 24. bis 27. März testen Freiwillige das neue Gefängnis Zürich West. Über 800 wollten dabei sein – für insgesamt 170 Plätze. Die «Insassen» lassen sich einsperren und geben ihre Handys ab, denn der Aufenthalt soll sich möglichst echt anfühlen.

Der forensische Psychiater Frank Urbaniok sagt, warum die Aktion einen Nerv trifft – und sieht die Gefahr einer Romantisierung der Kriminalität.

Frank Urbaniok

Professor für forensische Psychiatrie

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Frank Urbaniok war von 1997 bis 2018 Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes beim Justizvollzug des Kantons Zürich. Heute ist er als selbständiger Gutachter und Supervisor sowie als Professor für Forensische Psychiatrie an der Universität Konstanz tätig.

SRF: Würden Sie sich auch freiwillig einsperren lassen?

Frank Urbaniok: Ich könnte mir das persönlich nicht vorstellen. Ich habe seit fast 30 Jahren beruflich mit Gefängnissen zu tun, für mich haben sie nichts Faszinierendes. Ein Gefängnis ist da, um Menschen einzusperren. Das ist eine ernste Angelegenheit.

Seit einiger Zeit ist es gang und gäbe, dass man Grenzerfahrungen sucht.

Welche Motivation steckt dahinter, dass sich so viele einmal freiwillig einsperren lassen möchten?

Ich glaube, es gibt zwei Motivationen. Seit einiger Zeit ist es gang und gäbe, dass man Grenzerfahrungen sucht – das Spektakuläre, das Ungewöhnliche, etwas, das man noch nicht erlebt hat. Das sieht man auch in der Freizeitgestaltung und Unterhaltungsindustrie. Diese Aktion trifft also einen Nerv.

Die Fantasie ist ein Proberaum für Dinge, die man selbst nicht tun muss.

Daneben gibt es eine zweite Erklärung für die Faszination für Kriminalität und Kriminalfälle: Und die hat, glaube ich, mit unserer evolutionären Prägung zu tun. Es war für den Menschen schon immer wichtig, Aufmerksamkeit auf den Starken und den Gefährlichen zu richten. Denn das Bedrohliche muss man im Auge behalten. Und das führt zu einem Grundinteresse für den ganzen Bereich Kriminalität, Krimis und eben auch Gefängnissen.

Es gibt auch die Lesart, dass normale Leute sich für Kriminalität interessieren, weil sie ein Quäntchen davon in sich spürten.

Es ist sicher so, dass man sich diesem Bereich aus einer Beobachterperspektive nähern kann und so vielleicht in der Fantasie bestimmte Sachen ausprobieren kann. Die Fantasie ist ein Proberaum für Dinge, die man nicht selbst tun muss.

Gewalt hat für mich nichts Faszinierendes. Sie ist brutale, profane Realität.

Ich denke aber, dass das ein psychoanalytisch zu komplizierter Ansatz ist, dass da dunkle Seiten ausgelebt würden. Das ist mir ein bisschen zu spekulativ. Ich glaube, es handelt es sich eher um einen Kultur- und Medien-Mythos.

Romantisieren wir auf diese Weise den Gefängnisaufenthalt?

Ja, absolut. Diese Tendenz sieht man auch in der Verarbeitung von Kriminalfällen beispielsweise in Krimis. Da sind es dann oft schillernde Persönlichkeiten oder ein Superhirn, die irgendwas planen. Die Realität ist viel profaner.

Gewalt hat für mich nichts Faszinierendes, nichts Romantisches. Sie ist keine Gesellschaftskritik, kein Denksport oder ein Spiel. Gewalt ist brutale, profane Realität. Und das ist in der kulturellen und fiktionalen Verarbeitung von Kriminalität natürlich anders.

Könnte man sogar sagen: Je sicherer wir leben, desto romantischere Vorstellungen haben wir von Kriminalität?

Ich denke schon, es gibt diese Tendenz. Je weniger etwas für uns im Alltag spürbar ist und je weniger Menschen davon betroffen sind, umso mehr eignet sich etwas als Projektionsfläche. Dann können wir da alle möglichen Dinge hineinprojizieren: Ideologien oder romantische Vorstellungen der Kriminalität.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

Hinweis

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SRF ist beim Testlauf des Gefängnisses dabei: Am 30. März erfahren Sie bei srf.ch/kultur , wie der Probeaufenthalt gelaufen ist.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 23.03.2022, 08:15 Uhr ; 

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