Toleranz, Loyalität, Respekt – das sind Werte, die sich die Hardcore-Szene auf die Fahne schreibt. Vereinzelte gehen noch einen Schritt weiter: die Straight Edger.
Zu ihnen gehört Daniel Kehrli. Maximalen Respekt will der 40-jährige Sänger der Hardcore-Band «Vale Tudo» auch gegenüber der Umwelt und dem eigenen Körper ausleben.
Subkultur der Subkultur
Für ihn bedeutet Straight Edge in erster Linie klares, freies Denken. «Es ist eine positivere Art, mein Leben zu gestalten. Wenn ich am Morgen mit einem nüchternen Geist aufstehe, mache ich direkt den ersten Schritt in den Tag», sagt Kehrli.
Seine Lebensweise bringe ihm klare Vorteile: «Ich habe einen breiteren Blick und bin disziplinierter, weil ich mich nicht mit irgendwelchen Substanzen betäube.»
Straight Edge ist eine kleine Subkultur innerhalb der Hardcore-Subkultur. Die anderen Mitglieder der Band «Vale Tudo» leben nicht nach den Straight-Edge-Regeln.
Für Daniel Kehrli, der seit sieben Jahren Straight Edge lebt, kein Problem: «Die anderen haben sicher begrüsst, dass ich nicht mehr die gleiche Person wie früher bin. Und sie haben immer jemanden, der nach einem Gig nach Hause fährt.»
«At least I can fucking think»
Straight Edge hat seinen Ursprung im Punk der 1980er-Jahre, als Drogenkonsum ein wichtiger Bestandteil der Szene war. Ein Teil der Punks störte dieser selbstzerstörerische und «verdrogte» Lebensstil – sie lehnten sich dagegen auf.
Allen voran die Band «Minor Threat», Wegbereiter der Straight-Edge-Bewegung. Sie sangen 1981 in ihrem Lied «Out of Step» : «I don’t smoke, I don’t drink, I don’t fuck … At least I can fucking think.»
Das Wiedererkennungsmerkmal der Bewegung ist ein schwarzes X auf der Hand. Diese Markierung wurde früher Minderjährigen in den USA auf den Handrücken aufgemalt. So sollte sichergestellt werden, dass ihnen kein Alkohol ausgeschenkt wird. Diese Kennzeichnung adaptierte die Straight-Edge-Szene, um ihren freiwilligen Verzicht auf Rauschmittel auszudrücken.
Mit vielen Vorurteilen konfrontiert
Viele Straight Edger ernähren sich zudem vegan. So auch Daniel Kehrli: «Straight Edge und Veganismus ergänzen sich sehr gut. Wenn man sich für eine weltoffene, nüchterne Art des Lebens entscheidet, dann stolpert man früher oder später auch über Veganismus.»
Inspiriert zu seinem Lebensstil hat ihn unter anderem sein langjähriger Freund Martin Schaub. Der Sänger einer anderen Hardcore-Band lebt seit 25 Jahren Straight Edge.
Ihre Enthaltsamkeit wollen sie niemandem auf die Nase binden – und doch stossen sie im Alltag immer wieder auf Vorurteile und Unverständnis. «Vor allem im Berufsleben fällt mir auf, welchen Stellenwert Alkohol hat», sagt Martin Schaub: «Man wird zum Teil komisch angeschaut und extrem in Frage gestellt, wenn man sagt, dass man keinen Alkohol trinke.»
Keine Mission
Auch Daniel Kehrli erlebt, wie viele Leute verwundert sind, wenn er erzählt, dass er Straight Edge lebe. Er vertrete seine Überzeugung jedoch nie missionarisch gegen aussen: «Ich steige nicht auf eine Empore und predige, was besser ist und was nicht.»
Für ihn sei es in erster Linie ein persönlicher Weg: «Aber wenn sich jemand inspiriert fühlt, dann ist das schön und gut.»