«Wenn Du sexuell belästigt oder angegriffen wurdest, schreibe ‹Me Too› als Antwort auf diesen Tweet.» Das postet die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano am 15. Oktober 2017 auf Twitter. Der Aufruf klingt unspektakulär, doch er bringt eine Lawine ins Rollen.
Wenige Tage zuvor ist bekannt geworden, dass der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein Frauen über Jahrzehnte sexuell belästigt und teilweise vergewaltigt hat. Als Antwort auf ihren eigenen Tweet schreibt Milano «Me too». Danach legt sie sich schlafen.
Am nächsten Morgen ist Milanos Hashtag bereits viral: Innerhalb eines Tages gibt es eine halbe Million Tweets zu #MeToo, auf Facebook verwenden ihn innerhalb der ersten 24 Stunden knapp fünf Millionen Userinnen. Es sei wohl einfach der richtige Zeitpunkt für eine solche Debatte gewesen, erklärt Alyssa Milano Ende 2017 gegenüber dem britischen «Guardian».
Die wahre Urheberin von «Me Too»
In den Jahren vor #MeToo haben diverse feministische Bewegungen die Öffentlichkeit aufgerüttelt: In Deutschland sorgt 2013 die Kampagne #Aufschrei landesweit für Debatten, 2016 folgt ein Schweizer Pendant.
Im Januar 2017 demonstrieren bei sogenannten «Women’s Marches» hunderttausende Frauen weltweit für Frauen- und Menschenrechte. Auslöser für die Proteste ist die Amtseinführung des damaligen Präsidenten Donald Trump.
Den Namen «Me Too» gibt es schon vor 2017: Als Erste verwendet ihn die schwarze Aktivistin Tarana Burke 2006. Burke arbeitet jahrelang mit Jugendlichen aus prekären Verhältnissen. Als ein Mädchen sich ihr während eines Jugendcamps anvertraut und erzählt, dass sie sexuell missbraucht worden sei, schickt Burke es zu einem anderen Sozialarbeiter.
Das Mädchen kehrt nie wieder in das Jugendcamp zurück. Tarana Burke hat ein schlechtes Gewissen. Denn sie ist selbst sexuell missbraucht worden. Immer wieder fragt sie sich: «Warum konnte ich nicht einfach sagen ‹me too›?» So erzählt sie es später der « Washington Post ».
Der Vorfall gibt Burke zu denken. Sie will anderen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, helfen. 2006 gründet sie deshalb eine Art Selbsthilfegruppe im sozialen Netzwerk MySpace. Der Titel: «Me Too».
Massives Ausmass sexualisierter Gewalt
Mehr als zehn Jahre später, im Oktober 2017, machen diverse Twitter-Userinnen und -User auf Tarana Burke als wahre Urheberin der Bewegung aufmerksam. Auch Alyssa Milano reagiert darauf: Die Geschichte sei gleichzeitig herzzerreissend und inspirierend, schreibt sie zwei Tage nach ihrem ursprünglichen Tweet.
All das zeigt: #MeToo ist nicht aus dem Nichts entstanden. Das betont auch die Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger von der Universität Bern: Debatten um sexualisierte Gewalt seien so alt wie der Feminismus selbst.
Neu an #MeToo sei vor allem die Dynamik der Bewegung gewesen: Die Debatte verbreitete sich online rasend schnell über die ganze Welt.
So sei eindrücklich erfahrbar gemacht worden, wie massiv das Ausmass an sexualisierter Gewalt sei, das viele Frauen tagtäglich erfahren müssten. «Durch #MeToo hat ein Wandel vom Schweigen hin zum Sprechen stattgefunden», resümiert Amlinger.
Kritik an #MeToo
Dieser Wandel zum Sprechen zog sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche: Kultur, Wissenschaft, Politik. #MeToo zeigte unübersehbar: Sexualisierte Gewalt gibt es überall, genauso wie sexuelle Belästigung: unerwünschte Hände auf weiblichen Knien, sexistische Witzchen und Pfiffe auf der Strasse.
#MeToo löste aber auch Kritik aus: So wurden Vorwürfe laut, Vergewaltigungen würden verharmlost, wenn man sie in einen Topf mit sexistischen Sprüchen werfe.
Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger kann das nicht verstehen: Natürlich gebe es unterschiedliche Formen sexualisierter Gewalt. Aber: «All diese Formen wachsen auf dem gleichen Nährboden: dem in unserer Gesellschaft tief verankerten Sexismus.»
Dieser Sexismus sei so tief verankert, dass selbst Frauen ihn oft kaum wahrnähmen. Auch das, sagt Fabienne Amlinger, habe #MeToo verändert: Vielen Frauen sei erst durch die Debatte bewusst geworden, wo sexuelle Übergriffe anfangen – nämlich da, wo sich Frauen belästigt oder bedroht fühlen.
Diese prominenten Fälle wurden durch #MeToo öffentlich gemacht
Zudem werde Frauen, die von Übergriffen berichten, heute eher geglaubt. #MeToo hatte aber auch deutlich sichtbare Folgen: Täter wurden öffentlich benannt, viele Beschuldigte verloren ihre Posten, manche kamen vor Gericht.
«Hexenjagd» auf Männer?
Einige Kritiker sprachen deshalb von einer «Hexenjagd» auf Männer. Diesen Vorwurf hält Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger für überzogen: Zum einen seien die Täter in ordentlichen Gerichtsprozessen verurteilt worden.
Zum anderen dürfe man nicht vergessen, «dass viele Täter seit Jahrzehnten ungestraft geblieben» seien. «Den Blick auf angeblich zu Unrecht verurteilte Männer zu richten, steht in keinem Verhältnis zum wirklichen Problem.»
Das «wirkliche Problem» sind für Amlinger patriarchale und sexistische Strukturen, die Frauen bis heute diskriminieren. Durch #MeToo sind sie deutlich sichtbarer geworden.
Auch fünf Jahre nach Alyssa Milanos Tweet kommen weltweit immer wieder neue Fälle von sexuellem Missbrauch in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen ans Licht.
Hat #MeToo eine Zukunft?
In der Berichterstattung der Medien werden solche Fälle bis heute mit #MeToo überschrieben – ein eindrücklicher Beleg dafür, wie wirkmächtig der Slogan immer noch ist. Aber: Wird #MeToo auch in Zukunft noch eine Rolle spielen?
Darüber will Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger nicht spekulieren. Eines aber sei gewiss: «Wer einmal gelernt hat, für sich einzustehen und weiss, wo – nicht nur im juristischen Sinne – die Grenzen des Erlaubten sind, wird das auch nicht vergessen.»
US-Schauspielerin Alyssa Milano, die mit ihrem Tweet #MeToo gross machte, hat ihre eigenen Missbrauchserfahrungen übrigens nie öffentlich gemacht. In einem Gespräch mit dem «Guardian» sagte sie Ende 2017: «Ich glaube, das ist, worum es bei #MeToo geht: Du musst deine Geschichte nicht erzählen. Du kannst einfach ‹Me too› sagen.»