Viele Schweizer und Schweizerinnen nutzen die Advents- und Weihnachtszeit, um etwas Gutes zu tun. Was das Spenden betrifft, stehen die Schweizer international gut da. Gemäss der britischen Wohltätigkeitsorganisation «Charity Aid Foundation» ist die Schweiz auf Platz 13 der wohltätigsten Länder. Dennoch scheint es auch einige Vorurteile zu geben, besonders gegenüber grossen Spenden.
Warum spenden Menschen? Und wann macht Spenden überhaupt Sinn? Ein Gespräch mit Dr. Georg von Schnurbein, der am Center for Philanthropic Studies (CEPS) der Universität Basel zu wohltätigem Verhalten – auch Philanthropie genannt – forscht.
SRF: Philanthropie, bei dem Wort denkt man als erstes an wohlhabende Geldgeber. Muss man reich sein, um Philanthrop zu sein?
Nein, gar nicht. Wenn wir die Schweiz anschauen, dann ist der gesellschaftliche Wert der Freiwilligenarbeit für die Allgemeinheit viel mehr wert als die Spenden. In den Medien wird Philanthropie jedoch meistens sehr eng gefasst und nur auf die Reichen angewendet. Da ist es manchmal schon fast ein Schimpfwort, was ich falsch finde.
Woher kommt diese Skepsis?
Bei Spenden gibt es eine gewisse Intransparenz. Oft weiss man nicht, woher das Geld kommt und welche Intentionen dahinter stecken. Auch das Mysterium spielt mit: Warum ist jemand beispielsweise bereit, einem Museum 50 Millionen Franken zu schenken? Da muss doch jemand etwas bezwecken wollen. Darum gehen viele zunächst von schlechten Motiven aus.
Dass jemand ein Museum finanziert, weil er Spass an der Kultur hat und es lieber so ausgibt, als sich eine dritte Yacht zu kaufen, das wird sehr selten angenommen. Es ist jedoch auch ganz klar, dass grosse Spenden etwas mit der Schaffung eines Denkmals zu tun haben, mit egoistischen Motiven. Es gibt keinen Altruismus ohne Egoismus. Natürlich möchte ein Philanthrop, der einen grossen Betrag an ein Museum spendet, auch eine gewisse Anerkennung haben.
In der Schweiz gilt aber eher: Man gibt, aber man zeigt es nicht. Warum ist es hierzulande nicht so schick wie in den USA, Geld zu spenden?
In den USA gehört die Philanthropie zur öffentlichen Sphäre. Es gibt Bundesstaaten, in denen sie sogar Teil des Lehrplans ist. Das beginnt schon früh im Leben der Kinder mit dem «Garage Sale», einer Art Flohmarkt, der in den USA häufig mit einer Spendenaktion verbunden wird.
In Europa hingegen gehört Philanthropie eher zur Privatsphäre. In der Schweiz lernt man schon als Kind: Was man in die Kollekte steckt, das wird nicht gezeigt.
Trägt die Philanthropie dazu bei, dass Ungleichheit in der Gesellschaft reduziert wird?
Nein, auf keinen Fall. Philanthropie ist kein Mittel für Umverteilung.
War das auch nie der Sinn der Sache?
Nein. Zwei Fehlannahmen liegen dieser Auffassung zugrunde. Die erste betrifft das Volumen der Philanthropie. In der Schweiz sprechen wir von zwei bis drei Milliarden Franken, die von Stiftungen pro Jahr ausgeschüttet werden. Das entspricht allein dem Überschuss, der dem Bundeshaushalt letztes Jahr zur Verfügung stand. Der Staat hat also einen viel grösseren finanziellen Hebel. Wenn Philanthropie zur Umverteilung eingesetzt würde, dann wäre das nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Der zweite Aspekt ergibt sich aus den Tätigkeitsfeldern der Philanthropie. Der grösste Teil geht nicht an die Ärmsten der Armen, sondern zum Beispiel an Spitäler, Universitäten, in den Sozial-, Bildungs- oder Kulturbereich. Somit ist es eher die Mittelschicht, die profitiert.
Wenn es nicht die Reduktion von Ungleichheit ist, was ist dann der Sinn der Philanthropie?
Der ursprüngliche Sinn war natürlich schon die klassische Mildtätigkeit, also das Geben von Almosen. Heute sagt man aber, dass es ineffizient ist, wenn ich als Philanthrop in meiner Stadt beispielsweise Einzelnen 100 Franken-Scheine in die Hand drücke.
Ein weiterer Sinn ist die Komplementarität zum Staat. Der Staat schafft gewisse Grundstrukturen und die Philanthropie kann ergänzend dazu etwas leisten, zum Beispiel durch die Finanzierung eines zusätzlichen Trakts an einem staatlichen Krankenhaus. Dazu kommt, dass Philanthropie Pluralismus in der Gesellschaft fördern kann. Wenn man sich gerade in Basel die Museumslandschaft anschaut, dann ist die ja unheimlich vielfältig, weil sie sehr viel private Unterstützung erhält. Die Philanthropie kann zudem auch Innovation fördern.
Wenn man sich die Geschichte anschaut, wurden wichtige gesellschaftliche Entwicklungen meistens von privaten Initiativen und mit privaten Geldern angestossen. Nehmen Sie den Umweltschutz: Bis es ein Bundesamt für Umwelt gab, ging es relativ lang. Davor gab es schon ganz viele privat finanzierte Umweltorganisationen wie beispielsweise den WWF.
Gibt das wohlhabenden Menschen nicht auch ziemlich viel Macht? Sie können ja entscheiden, wo das Geld hinkommt und wen sie fördern.
Das ist richtig. Unser Institut hat sich jedoch angeschaut, in welchen Bereichen Stiftungen gegründet werden. Die wichtigsten Bereiche sind Soziales und Gesundheit, Bildung und Forschung und Kultur. Das sind Bereiche, die auch der Staat am meisten fördert.
Dazu kommt noch ein interessanter Fakt: Bei einer aktuellen Studie, die Ende Januar 2020 veröffentlicht wird, hat sich herausgestellt, dass es sich bei 30 Prozent der Empfänger um staatliche Institutionen handelt. Durch einen Beitrag der Mercator Stiftung konnte beispielsweise der Lehrstuhl für zeitgenössische Japanologie an der Universität Zürich geschaffen werden. Natürlich ist da irgendwo ein privater Geldgeber, der für sich entscheiden kann, wo er sein Geld hingibt. Aber aufs Ganze gesehen profitieren staatliche Institutionen sowie die Bereiche, die der Staat ebenfalls fördert
Spenden wohlhabende Menschen nicht vor allem, weil sie damit Steuern sparen können?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Nehmen wir mal an, ich gebe eine Million Franken in eine Stiftung, dann ist diese Million zunächst einmal weg, die gehört mir nicht mehr. In der Schweiz kann man in den meisten Kantonen maximal 20 Prozent vom zu versteuernden Einkommen abziehen. Das heisst, ich müsste überhaupt so viel verdienen, dass ich eine Million von meinen Steuern abziehen könnte. Die meisten haben nicht ein so hohes Einkommen und spenden aus dem Vermögen heraus.
Die Diskussion, die Sie hier aufbringen, bezieht sich sehr stark auf die USA, wo man Abzüge bis zu 50 Prozent machen kann. Für die Schweiz ist diese Kritik weitgehend unbegründet.
Wie findet man heraus, an wen man am besten spendet? Haben Sie einen Tipp?
Im Grunde spendet man am besten natürlich dort, wofür das Herz schlägt. Wenn man aber keine konkrete Idee hat, dann gibt es heute Plattformen im Internet wie beispielsweise Crowdfunding.
Wichtig ist aber meines Erachtens vor allem, dass man sich auf etwas festlegt und nicht einmal hier und einmal dort spendet. Das produziert meistens nur mehr administrativen Aufwand und damit mehr Kosten. Lieber sucht man sich etwas aus und spendet dort mehrere Jahre hintereinander. Eine Konstanz ist für beide Seiten effizienter.
Das Gespräch führte Ina-Maria Schemer.