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Sommerserie über Philosophie Das sind die 5 wichtigsten Denkorte der Schweiz

Von Jean-Jacques Rousseau über Hannah Arendt bis Friedrich Nietzsche: Auf Schweizer Boden wurde gewirkt, gedacht, gestritten – und manchmal auch Geistesgeschichte geschrieben.

1. Jean-Jacques Rousseau: St. Petersinsel

Der freiheitsliebende Jean-Jacques Rousseau führte ein Nomadenleben, und das nicht immer freiwillig. Nach der Veröffentlichung seiner Bücher «Émile oder Über die Erziehung» und «Der Gesellschaftsvertrag» im Jahr 1762 werden in Paris, Genf und Bern Haftbefehle gegen ihn erlassen.

Er flüchtet zunächst nach Môtiers, dann auf die Sankt Petersinsel, die er im Nachgang als «Paradies auf Erden» bezeichnet. Nach nur sechs Wochen platzt der Traum. Rousseau muss erneut fliehen. Bis heute spüren Menschen auf der Insel dem Hauch Rousseau’scher Freiheit nach.

2. Martin Heidegger und Ernst Cassirer: Davos

Mit dem Erscheinen des Romans «Zauberberg» wird Davos weltberühmt, allerdings als Kurort voller Sterbenskranker. Um das negative Image abzuschütteln, lädt der Ort 1929 kurz vor der Weltwirtschaftskrise zwei der bedeutendsten deutschsprachigen Philosophen zum Streitgespräch ein: Ernst Cassirer und Martin Heidegger.

Ihr Disput über die Frage «Was ist der Mensch?» zählt heute zu den legendärsten philosophischen Debatten des 20. Jahrhunderts. Er ermöglichte Davos den Imagewechsel zur geistigen Hochburg.

3. Jeanne Hersch: Genf

Die Genfer Philosophin und Pädagogin Jeanne Hersch studierte während des Aufstiegs der Nationalsozialisten in Deutschland. Diese Erfahrung blieb für die polnischstämmige Jüdin zeitlebens prägend. Zurück in der Schweiz tritt sie 1939 der SP bei. Später befasst sie sich als eine der ersten Philosophinnen mit den Menschenrechten.

Anfang der 1960er-Jahren wird der «weibliche Sokrates» die erste ordentliche Professorin der Schweiz. Hersch mischt sich aber auch jenseits des Auditoriums ein und bleibt – vor allem in ihrer Heimatstadt Genf – als streitbare Philosophin in Erinnerung.

4. Hannah Arendt: Tegna

Besonders die Nachkriegszeit wird der jüdischen Intellektuellen Hannah Arendt zum Fluch. Ihr Psychogramm des deutschen Kriegsverbrechers Adolf Eichmann erscheint 1963. In diesem beschreibt sie Eichmann wider Erwarten nicht als Monster, sondern als farblosen Normalbürger. Das Buch wird weltweit kontrovers diskutiert.

In der Abgeschiedenheit des Dörfchens Tegna versucht sie sich von den Wellen des Hasses zu erholen. 1975 ist Arendt zum siebten und letzten Mal dort. Noch im selben Jahr stirbt sie. Ihre Gedanken, Geschichten und Gedichte jedoch bleiben.

5. Friedrich Nietzsche: Sils Maria

Auf der Suche nach dem optimalen Denkklima gelangt der Migränepatient Friedrich Nietzsche nach Sils Maria. Dort, «6000 Fuss über dem Meere und viel höher über allen menschlichen Dingen!», findet der Philosoph Erleichterung von seinen körperlichen Leiden und wälzt während seiner sieben Sommer in Sils Maria hochtrabende Gedanken.

Bis heute inspiriert die Gedankenwelt des berühmten Philosophen. Und sein Haus im Bündnerland ist zur Pilgerstätte geworden, in der bisweilen ein anarchischer Geist herrscht und sich skurrile Szenen abspielen sollen.

SRF 1, 10 vor 10, 16.08.2023, 21:50 Uhr

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