Am dritten Tag nimmt uns Núria mit nach Madrid. Sie will uns ihre Schwester Ruth vorstellen. Schon bei der Ankunft in Spaniens Hauptstadt ist klar, weshalb Madrid auch Hauptstadt der Krise genannt wird. Der Unmut ist sicht- und spürbar: Überall Plakate und Graffiti, die zum Generalstreik aufrufen. Wohin wir auch gehen, türmen sich stinkende Abfallberge. Die Müllmänner streiken.
Grosseltern protestieren für ihre Enkel
Blättert man in der grössten politischen Tageszeitung «El País», stellt man fest, dass dieser Streik nur einer von vielen ist: Krankenschwestern, Lehrer, Kulturschaffende – sie alle leiden unter massiven Sparmassnahmen und verschaffen ihrem Ärger mit Protestaktionen Luft. Nota bene auch die Journalisten der erwähnten Zeitung. Ein Drittel der Belegschaft soll entlassen werden.
Oft gehen Eltern, Grosseltern und arbeitslose Freunde stellvertretend für die Betroffenen auf die Strasse. Der Lohnausfall eines Streiktages kann sich nicht jeder leisten.
Die Kündigung als Erlösung
Núrias Schwester Ruth arbeitete in einer PR-Agentur. Immer öfter wurden Kollegen entlassen, Druck und Angst nahmen zu, massive Überstunden wurden zur Normalität. Die Nerven der 28jährigen lagen blank, auch ein ärztliches Attest änderte nichts an ihrem Pflichtenheft. Als Ruth als eine der letzten ihrer Abteilung entlassen wird, ist sie erleichtert. Selbst kündigen war in der aktuellen Marktsituation zu riskant und deshalb keine Option. Nun hatte sie wenigstens Arbeitslosengeld zugute.
Ein einziges Bier an einem Abend
Ruth sieht in der Krise ihre ganz persönliche Chance. Sie macht nun das, was sie schon immer machen wollte: eine Ausbildung zur Fotografin und Grafikdesignerin.
Auf einer Art Fotosafari führt Ruth uns durch Madrid. Sie versucht, die Auswirkungen der Krise in ihren Bildern festzuhalten: Die Disco, die schliessen musste, weil sich die Jungen keine Party mehr leisten. Der klagende Barbesitzer, dessen Kundschaft nur noch auf ein einziges, kleines Bier vorbei kommt – welches dann unendlich langsam getrunken wird.
Debatte im WG-Wohnzimmer
In Ruths WG treffen wir einige von ihren Freunden. Die Theaterschauspieler klagen über den Filz in ihrer Szene. Gehöre man nicht zum «Kuchen», habe man momentan keine Chance. Früher habe sich herumgesprochen, wenn jemand seinen Job verloren hatte. Jetzt mache im Freundeskreis die Runde, wenn endlich jemand einen Job findet. Es wird still im kleinen Wohnzimmer.