Ein Junge umklammert seinen Revolver mit beiden Händen. Den Finger am Abzug. Plötzlich springt er hervor, brüllt seinem Bruder «Hände hoch!» entgegen – und drückt dreimal ab.
Dieser Junge war ich. Ich war ein kleiner Waffennarr. Angefangen hatte es lange vor dem Spielzeugrevolver. Mein Grossvater war Schreiner. Ich liess nicht locker, bis er mir ein Holzgewehr – exakt nach meinen Vorgaben – zimmerte. Damals war ich keine sechs Jahre alt und dieses Holzgewehr mein ganzer Stolz.
Kein anderes Spielzeug begleitete mich über so viele Jahre. Ich patrouillierte, bewachte, spionierte und ballerte. Später mit «Chäpslipistolen», dann mit Softair-Guns und noch später mit einem Luftgewehr. Meine Eltern setzten mir kaum Grenzen.
Irgendwann war meine Faszination für Waffen – wie der Rauch aus dem Pistolenlauf – wie weggeblasen.
Spielzeugwaffen: Ja oder Nein?
Heute bin ich irritiert, wenn Erwachsene sagen, sie seien Waffenfans. Gewalt und Gewaltverherrlichung finde ich abstossend. Und doch: Bei meinen Kindern mache ich es wie damals meine Eltern. Ich lasse meine Kinder mit Plastikpistole und Holzgewehr herumballern.
Seit dem Ukrainekrieg frage ich mich jedoch: Ist das wirklich okay? Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer flüchten vor dem Krieg zu uns in die Schweiz. Und hier ballern Kinder mit Plastikpistolen herum.
Ich frage nach beim Kinder- und Jugendpsychologen Allan Guggenbühl. Dieser sagt, grundsätzlich traue man den Kindern in dieser Beziehung viel zu wenig zu.
Kinder könnten schon sehr früh unterscheiden zwischen Realität und Fantasie: «Mit Spielzeugwaffen leben sie eine Fantasie aus, das hat nichts mit der Realität zu tun.»
Gut, aber warum sollten Kinder überhaupt Gewaltfantasien ausleben? Laut Guggenbühl wollen Kinder das Leben in seinem ganzen Spektrum spielerisch erkunden. «Kinder sehen in den Spielzeugwaffen ein Symbol für das Böse.» Während Erwachsene die Gewalt an sich verkörpert sähen, sei es für Kinder eine Auseinandersetzung mit der dunklen Seite des Menschen, so Allan Guggenbühl.
Ein Verbot von Spielzeugwaffen bewirkt das Gegenteil
Dass ein Kind wegen des Spiels mit Spielzeugwaffen später gewalttätig wurde, habe er noch nie beobachtet. Aber: Er würde Spielzeugwaffen den Kindern nicht anbieten, das «Kriegerli»-Spiel nicht aktiv fördern.
«Wenn allerdings ein Kind Interesse zeigt, wäre ein Verbot von Spielzeugwaffen problematisch.» Denn so könne eine Faszination für Waffen entstehen, welche im ungünstigsten Fall bis ins Erwachsenenalter anhalte, sagt der Psychologe Allan Guggenbühl.
Im Umgang mit Kriegsflüchtlingen, welche möglicherweise traumatisiert seien, müsse man selbstverständlich vorsichtig sein. Man müsse aber im konkreten Fall schauen, wie die Menschen genau traumatisiert sind, erläutert Guggenbühl.
Er habe Kontakt mit ukrainischen Psychologen. «Viele ukrainische Kinder sind vom Bombenalarm traumatisiert.» Ein Feueralarm könnte also unter Umständen viel schlimmer sein, als Kinder, die mit einem Holzgewehr spielen.
Haltung und Regeln sind zentral
Wichtig sei, dass Eltern eine Haltung zeigen. «Wenn Eltern Sätze sagen wie, ‹Xy sollte man erschiessen›, ist das problematisch», sagt Guggenbühl. Eltern sollten klarmachen, dass es in der realen Welt Krieg und Waffen gibt, und dass diese Gewalt schlecht ist.
Empfiehlt der Kinderpsychologe also, dass Kinder jederzeit und überall drauflos ballern sollen? Nein, Regeln seien im Spiel mit Spielzeugwaffen zentral: «Nur in definierten Zonen spielen, nicht auf Unbeteiligte zielen und wenn jemand aufhören will, muss das akzeptiert werden.»
Zudem findet Guggenbühl, dass Spielzeugwaffen auf keinen Fall echt aussehen dürfen. In der Schweiz sind echt aussehend Spielzeugwaffen seit 2008 verboten. Mit dem revidierten Waffengesetz werden auch Schreckschuss- und Imitationswaffen als echte Waffen behandelt.
Die Kinderwaffen-Industrie hat Wege gefunden, trotz strenger Gesetze Spielzeugwaffen zu verkaufen: Hierzulande werden, extra für die Schweiz hergestellte, transparente Spielzeugwaffen angeboten.
Spielzeugwaffen aus dem Verkauf nehmen?
Als der Ukrainekrieg ausbrach, vermeldete die Supermarktkette Lidl in der Schweiz, man habe zwei Spielzeugwaffen aus dem Sortiment genommen. Aus «Respekt und Rücksicht».
Konkurrentin Migros verurteilte diesen Schritt. Gegenüber dem «Blick» teilte die Migros mit: «Das Leid Millionen notleidender Menschen auf die Stufe von sommerlichem Spielspass bzw. Wasserpistolen für Kinder herabzusetzen, ist – gelinde gesagt – verharmlosend.»
Dass Verkaufsläden, je nach geopolitischer Lage, ihr Sortiment anpassen, ist nicht neu. Gemäss mehrerer Zeitungsartikel wurden Spielzeugwaffen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in diversen Schweizer Läden zwischenzeitlich verbannt.
Ich frage mich: Wie begründen Läden, dass sie Spielzeugwaffen verkaufen?
Panzer im Spielwarenladen
Die grossen Warenhäuser wollen nicht über den Verkauf von Spielzeugwaffen reden. Franz Carl Weber und Co. blocken meine Anfragen ab. Mehr Erfolg habe ich im solothurnischen Hägendorf bei Peter Herzog. Seit bald acht Jahren betreibt er den Spielwarenladen «Spiilegge».
Die Nachfrage nach Spielzeugwaffen sei stabil und als kleiner Laden auf dem Land müsse man ein breites Angebot haben, sagt Peter Herzog. Was mich erstaunt: Neben den klassischen «Chäpslipistolen» gibt es auch Kriegsspielzeug wie ferngesteuerte Panzer.
Auch Verkäufer Herzog fragt sich manchmal, ob er solche Artikel noch verkaufen soll. «Als der Krieg in der Ukraine losging, haben wir alle Spielzeugwaffen ins Lager geräumt.» Er wollte damals nicht, dass die Leute auch noch in seinem Laden an den Krieg erinnert werden.
Mittlerweile sind die Plastikpistolen und Panzer längst wieder im Regal. «Die Nachfrage ist da.» Herzog argumentiert, ähnlich wie Psychologe Guggenbühl, dass die Kinder den Umgang mit Waffen lernen müssten.
Fazit: Meine Kinder ballern weiter
Nach meinem Besuch beim Kinderpsychologen und im Spielwarenladen kann ich sagen: Der ferngesteuerte Panzer wird nicht unter dem Weihnachtsbaum liegen, aber das Holzgewehr darf bleiben.
Man könnte jetzt kritisieren, dass auch das Holzgewehr ein Tötungswerkzeug darstellt. Ja, aber solange ich selbst Gewalt ablehne und gleichzeitig Actionfilme mit unzähligen Todesopfern schaue, traue ich auch meinen Kindern zu, zwischen Realität und Fiktion unterscheiden zu können.