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Spielzeugwaffen: ja oder nein? Warum Kinder mit Gewehr und Pistole spielen dürfen

In der Ukraine ist Krieg – und in der Schweiz spielen Kinder mit Spielzeugwaffen «Kriegerlis». Ist das in Ordnung?

Ein Junge umklammert seinen Revolver mit beiden Händen. Den Finger am Abzug. Plötzlich springt er hervor, brüllt seinem Bruder «Hände hoch!» entgegen – und drückt dreimal ab.

Dieser Junge war ich. Ich war ein kleiner Waffennarr. Angefangen hatte es lange vor dem Spielzeugrevolver. Mein Grossvater war Schreiner. Ich liess nicht locker, bis er mir ein Holzgewehr – exakt nach meinen Vorgaben – zimmerte. Damals war ich keine sechs Jahre alt und dieses Holzgewehr mein ganzer Stolz.

Junge hält anderem Junge Spielzeugwaffe an dei Schläfe.
Legende: Aufeinander zielen war offensichtlich erlaubt: Autor Matthias von Wartburg (mit Pistole) spielt mit seinem Bruder, Anfang der 1990er-Jahre. Matthias von Wartburg

Kein anderes Spielzeug begleitete mich über so viele Jahre. Ich patrouillierte, bewachte, spionierte und ballerte. Später mit «Chäpslipistolen», dann mit Softair-Guns und noch später mit einem Luftgewehr. Meine Eltern setzten mir kaum Grenzen.

Irgendwann war meine Faszination für Waffen – wie der Rauch aus dem Pistolenlauf – wie weggeblasen.

Spielzeugwaffen: Ja oder Nein?

Heute bin ich irritiert, wenn Erwachsene sagen, sie seien Waffenfans. Gewalt und Gewaltverherrlichung finde ich abstossend. Und doch: Bei meinen Kindern mache ich es wie damals meine Eltern. Ich lasse meine Kinder mit Plastikpistole und Holzgewehr herumballern.

Atuor mit seinem abgewetzten Holzgewehr.
Legende: Das Holzgewehr von seinem Grossvater hat Matthias von Wartburg immer noch. Es ist vom Cowboyleben gezeichnet. Aber welches Spielzeug überlebt heute noch 30 Jahre? Matthias von Wartburg

Seit dem Ukrainekrieg frage ich mich jedoch: Ist das wirklich okay? Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer flüchten vor dem Krieg zu uns in die Schweiz. Und hier ballern Kinder mit Plastikpistolen herum.

Ich frage nach beim Kinder- und Jugendpsychologen Allan Guggenbühl. Dieser sagt, grundsätzlich traue man den Kindern in dieser Beziehung viel zu wenig zu.

Kinder könnten schon sehr früh unterscheiden zwischen Realität und Fantasie: «Mit Spielzeugwaffen leben sie eine Fantasie aus, das hat nichts mit der Realität zu tun.»

Allan Guggenbühl

Psychologe und Experte für Jugendgewalt

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Der Kinder- und Jugendpsychologe schrieb diverse Bücher über Gewalt. Seit 1995 leitet er das Institut für Konfliktmanagement (IKM).

Gut, aber warum sollten Kinder überhaupt Gewaltfantasien ausleben? Laut Guggenbühl wollen Kinder das Leben in seinem ganzen Spektrum spielerisch erkunden. «Kinder sehen in den Spielzeugwaffen ein Symbol für das Böse.» Während Erwachsene die Gewalt an sich verkörpert sähen, sei es für Kinder eine Auseinandersetzung mit der dunklen Seite des Menschen, so Allan Guggenbühl.

Ein Verbot von Spielzeugwaffen bewirkt das Gegenteil

Dass ein Kind wegen des Spiels mit Spielzeugwaffen später gewalttätig wurde, habe er noch nie beobachtet. Aber: Er würde Spielzeugwaffen den Kindern nicht anbieten, das «Kriegerli»-Spiel nicht aktiv fördern.

«Wenn allerdings ein Kind Interesse zeigt, wäre ein Verbot von Spielzeugwaffen problematisch.» Denn so könne eine Faszination für Waffen entstehen, welche im ungünstigsten Fall bis ins Erwachsenenalter anhalte, sagt der Psychologe Allan Guggenbühl.

Plsymobilfigur mit Gewehr.
Legende: Wo soll man bei Spielzeugwaffen die Grenze ziehen: Darf eine Spielfigur eine Waffe haben? Darf das Kind einen Ast als Gewehr benützen? Matthias von Wartburg

Im Umgang mit Kriegsflüchtlingen, welche möglicherweise traumatisiert seien, müsse man selbstverständlich vorsichtig sein. Man müsse aber im konkreten Fall schauen, wie die Menschen genau traumatisiert sind, erläutert Guggenbühl.

Er habe Kontakt mit ukrainischen Psychologen. «Viele ukrainische Kinder sind vom Bombenalarm traumatisiert.» Ein Feueralarm könnte also unter Umständen viel schlimmer sein, als Kinder, die mit einem Holzgewehr spielen.

Haltung und Regeln sind zentral

Wichtig sei, dass Eltern eine Haltung zeigen. «Wenn Eltern Sätze sagen wie, ‹Xy sollte man erschiessen›, ist das problematisch», sagt Guggenbühl. Eltern sollten klarmachen, dass es in der realen Welt Krieg und Waffen gibt, und dass diese Gewalt schlecht ist.

Drei Kinder mit einem Holzgewehr und einer Steinschleider.
Legende: Der Kinderpsychologe empfiehlt: den Kindern keine Spielzeugwaffen aktiv anbieten. Wenn Kinder aber die Lust am Waffenspiel entdecken, braucht es klare Regeln. colourbox/#248540

Empfiehlt der Kinderpsychologe also, dass Kinder jederzeit und überall drauflos ballern sollen? Nein, Regeln seien im Spiel mit Spielzeugwaffen zentral: «Nur in definierten Zonen spielen, nicht auf Unbeteiligte zielen und wenn jemand aufhören will, muss das akzeptiert werden.»

Zudem findet Guggenbühl, dass Spielzeugwaffen auf keinen Fall echt aussehen dürfen. In der Schweiz sind echt aussehend Spielzeugwaffen seit 2008 verboten. Mit dem revidierten Waffengesetz werden auch Schreckschuss- und Imitationswaffen als echte Waffen behandelt.

Empfohlene Regeln für Spielzeugwaffen

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  • Nur in definierten Zonen spielen
  • Nicht auf Unbeteiligte zielen
  • «Stopp» heisst «stopp»

Die Kinderwaffen-Industrie hat Wege gefunden, trotz strenger Gesetze Spielzeugwaffen zu verkaufen: Hierzulande werden, extra für die Schweiz hergestellte, transparente Spielzeugwaffen angeboten.

Spielzeugwaffen aus dem Verkauf nehmen?

Als der Ukrainekrieg ausbrach, vermeldete die Supermarktkette Lidl in der Schweiz, man habe zwei Spielzeugwaffen aus dem Sortiment genommen. Aus «Respekt und Rücksicht».

Konkurrentin Migros verurteilte diesen Schritt. Gegenüber dem «Blick» teilte die Migros mit: «Das Leid Millionen notleidender Menschen auf die Stufe von sommerlichem Spielspass bzw. Wasserpistolen für Kinder herabzusetzen, ist – gelinde gesagt – verharmlosend.»

Lidl Prospekt.
Legende: Der Discounter Lidl reagierte auf den Ukrainekrieg und nahm für eine gewisse Zeit Spielzeugwaffen aus seinem Sortiment. Ausschnitt Lidl-Prospekt

Dass Verkaufsläden, je nach geopolitischer Lage, ihr Sortiment anpassen, ist nicht neu. Gemäss mehrerer Zeitungsartikel wurden Spielzeugwaffen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in diversen Schweizer Läden zwischenzeitlich verbannt.

Ich frage mich: Wie begründen Läden, dass sie Spielzeugwaffen verkaufen?

Panzer im Spielwarenladen

Die grossen Warenhäuser wollen nicht über den Verkauf von Spielzeugwaffen reden. Franz Carl Weber und Co. blocken meine Anfragen ab. Mehr Erfolg habe ich im solothurnischen Hägendorf bei Peter Herzog. Seit bald acht Jahren betreibt er den Spielwarenladen «Spiilegge».

Peter Herzog zeigt eine gorsse Waffe der Marke Nerf.
Legende: «Wir stellen die grossen Waffen absichtlich in den höheren Regalen aus, damit die kleinen Kinder nicht herankommen», sagt Ladenbesitzer Herzog. Matthias von Wartburg

Die Nachfrage nach Spielzeugwaffen sei stabil und als kleiner Laden auf dem Land müsse man ein breites Angebot haben, sagt Peter Herzog. Was mich erstaunt: Neben den klassischen «Chäpslipistolen» gibt es auch Kriegsspielzeug wie ferngesteuerte Panzer.

Auch Verkäufer Herzog fragt sich manchmal, ob er solche Artikel noch verkaufen soll. «Als der Krieg in der Ukraine losging, haben wir alle Spielzeugwaffen ins Lager geräumt.» Er wollte damals nicht, dass die Leute auch noch in seinem Laden an den Krieg erinnert werden.

Kisten von Spielzeug.
Legende: Ferngesteuerte Panzer oder akkubetriebene Maschinengewehre gehören zum «breiten Sortiment» von Peter Herzog. Matthias von Wartburg

Mittlerweile sind die Plastikpistolen und Panzer längst wieder im Regal. «Die Nachfrage ist da.» Herzog argumentiert, ähnlich wie Psychologe Guggenbühl, dass die Kinder den Umgang mit Waffen lernen müssten.

Fazit: Meine Kinder ballern weiter

Nach meinem Besuch beim Kinderpsychologen und im Spielwarenladen kann ich sagen: Der ferngesteuerte Panzer wird nicht unter dem Weihnachtsbaum liegen, aber das Holzgewehr darf bleiben.

Man könnte jetzt kritisieren, dass auch das Holzgewehr ein Tötungswerkzeug darstellt. Ja, aber solange ich selbst Gewalt ablehne und gleichzeitig Actionfilme mit unzähligen Todesopfern schaue, traue ich auch meinen Kindern zu, zwischen Realität und Fiktion unterscheiden zu können.

Radio SRF3, Input, 20.11.2022, 08:03 Uhr

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