Als am 15. April 2019 ein Brand im Dachstuhl der Pariser Notre-Dame die gotische Kathedrale verwüstet hatte, stand bereits fest, dass dieses einmalige und unschätzbare Bauwerk für die Nachwelt gerettet werden soll.
Die Anteilnahme war gross, aus der ganzen Welt kamen Spenden für den Wiederaufbau. Dieser sollte gemäss Präsident Emmanuel Macron in bloss fünf Jahren, fristgemäss bis zur Sommerolympiade in der französischen Hauptstadt, beendet sein.
Aussen restauriert, innen modernisiert?
Über die Art und Weise, wie die Schäden des Brandunglücks behoben und die zerstörten Teile ersetzt werden sollen, wird heftig gestritten. Muss unbedingt alles haargenau gleich aussehen wie vor dem Brand, oder kann der Wiederaufbau auch als Gelegenheit für eine Erneuerung genutzt werden?
Die Experten der Diözese haben ein Projekt für die Innenausstattung der Kathedrale vorgelegt, das gestern vom zuständigen Denkmalschutz des Kulturministeriums weitgehend genehmigt worden ist. Schon vorher gab es Proteste gegen diese Pläne, und die Kritiker haben sich keineswegs beruhigt.
Von «Kitsch» und von einem «Verrat» am architektonischen «Gesamtkunstwerk» des Architekten Eugène Viollet-le-Duc, der die Notre-Dame im 19. Jahrhundert renoviert hatte, ist in einem offenen Brief von hundert Kunsthistorikern, Architektinnen und Intellektuellen die Rede.
Sie fordern eine Restauration der Kathedrale, so wie sie vor dem Brand aussah, und sie protestieren gegen vorgesehene Innovationen und Experimente mit zeitgenössischer Kunst. Sonst werde die ehrwürdige Kathedrale zu einem «Disneyland».
Gotteshaus oder Touristenattraktion?
Es mutet überraschend an, dass eine kirchliche Kommission Erneuerungen bei der Innenarchitektur wagt. Doch die Notre-Dame ist auch eine Touristenattraktion, die vor dem Brand mit jeweils rund zehn Millionen Besucher und Besucherinnen aus aller Welt zu Frankreichs wichtigsten Sehenswürdigkeiten zählte.
Für sie soll der Rundgang in der gotischen Kathedrale erleichtert und mit Videoprojektionen von Bibelzitaten auf die Wand bereichert werden. Ausserdem soll eine Art Dialog zwischen den historischen Kunstwerken, Gemälden und Statuen, und Kreationen zeitgenössischer Künstler – eventuell auch anstelle der sehr alten Beichtstühle – installiert werden. Man hat dazu bereits Namen genannt: Anselm Kiefer, Louise Bourgeois oder Ernest Pignon-Ernest. Für die konservativen Kritiker ist schon das eine Horrorvorstellung.
Neue Inneneinrichtung genehmigt
Der Denkmalschutz hat nun das Projekt trotzdem gebilligt – allerdings mit Einwänden. Abstriche werden verlangt hinsichtlich der Innenbeleuchtung auf Kopfhöhe oder auch der Sitzplätze - es waren Bankreihen auf Rädern und mit elektrischen Kerzen vorgesehen gewesen. Ausserdem wird zur Auflage gemacht, dass die Heiligenstatuen alle an ihrem angestammten Platz bleiben müssten.
Der Baumeister der Restaurierung, Albéric de Montgolfier, meinte beschwichtigend dazu, alle sakralen Kunstwerke, die sich vor dem Brand in der Kathedrale befunden hätten, würden sich auch weiterhin für die Gläubigen dort befinden.
Damit wird die Auseinandersetzung um den Wiederaufbau kaum definitiv beendet sein. Die eigentliche Rekonstruktion hat noch gar nicht begonnen. Bisher wurde lediglich konsolidiert, was beim Brand übrig geblieben war.
Es galt zu verhindern, dass die Mauern oder gar die beiden Türme einstürzen oder dass es durch das vollständig zerstörte Dach ins Innere regnet. Allein diese vorbereitenden Arbeiten haben mehr als 100 Millionen Euro gekostet.
Der Wiederaufbau der Notre-Dame aber soll kein Finanzproblem sein. An Spenden sind bereits mehr als 800 Millionen zusammengekommen. Niemand kann sagen, ob das für alles reicht, und eine Prognose für das Ende der Renovierung wagt erst recht niemand.