Lebensräume in der Stadt sind auch Verkehrsräume. Man baut, arbeitet und wohnt entlang von Strassen.
Eine bessere Aufenthaltsqualität im Strassenraum für Menschen und Tiere wäre aber möglich: durch vielfältige Raumbildungen, unterschiedliche Grössen, Proportionen und Materialien.
Das sagen die Akustik-Pioniere Inès und Fabian Neuhaus. In einem Leitfaden im Auftrag des Kantons Zürich gehen sie neue Wege: «Wer baut, baut Resonanzräume. Wie diese gestaltet sind, beeinflusst das Verhalten des Schalls massgeblich», betonen sie.
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Die Akustik braucht einen höheren Stellenwert
Akustik ist eine zentrale Wirkungsebene von Architektur. Nur hat sie es schwer, sich als gleichwertiges Gestaltungsmittel durchzusetzen. Architektur gilt als Kunst, Akustik bisher nur als Dienerin dieser Kunst.
Dabei könnte sie bereits den Entwurf massgeblich prägen und den Städtebau akustisch auf die Höhe der Zeit bringen. «Die Zeit ist reif, dass die beiden Fachgebiete aufeinander zugehen», so Inès und Fabian Neuhaus, «und die Akustik über die rein physikalische Betrachtungsebene hinauswächst.»
Vier typische Probleme und die Lösungsvorschläge der Experten:
Ich wohne an einer stark befahrenen Strasse mit Lärmschutzwänden.
Die Analyse: Lärmschutzwände führen zu «fahrenden Wänden». Wenn Fahrzeuge zwischen parallelen Flächen (Lärmschutzwänden und Mauern) fahren, entstehen grosse gleichförmige Luftsäulen. Die Schallwellen füllen den «Kanal». Sie sind länger und aus grösserer Distanz zu hören als in einer vielfältig gegliederten Umgebung.
Die Lösung: Abhilfe schaffen unterschiedlich ausgestaltete Oberflächen, verschiedene Materialien und leicht schräg gegeneinander gestellte Baukörper.
Unser dreistöckiges Haus grenzt an einen Vorplatz. Daran fügt sich auf gleicher Ebene ein Trottoir, dann folgt die Strasse. Alles ist asphaltiert.
Die Analyse: Die Bodenfläche zwischen Bebauung und Verkehrsweg beeinflusst die Akustik ebenfalls massgeblich. Je glatter und einheitlicher die Bodengestaltung ist, desto nachteiliger für die Akustik.
Die Lösung: Es empfiehlt sich zum Beispiel ein Streifen aus Kies und rauhem Stein, der an einen Grünstreifen grenzt, erst dann folgt der asphaltierte Strassenbelag. Abstufungen des Geländes gliedern den Boden räumlich und schaffen wünschbare Unterräume.
Wir ziehen in eine moderne Überbauung mit grossen Glasfassaden ein.
Die Analyse: Glas färbt den Raumklang stärker als die meisten Materialien monoton ein. Das Reflexionsverhalten des Schalls an Glas ist gleichförmig und damit unangenehm. Kleine Glasscheiben sind etwas gutmütiger als grosse.
Die Lösung: Vorteilhaft sind Fenster, deren Glasscheiben durch plastische Sprossen gegliedert sind. Wichtig sind Kontraste mit vielfältig reagierenden Materialien und Texturen, etwa Holz, Stoff, Gips oder Stuckatur.
An unserer Strasse sind beidseitig neue Siedlungen geplant. Sie sollen insgesamt 80 Meter lang werden und verkehrsseitig den Aussenraum abriegeln.
Die Analyse: Grossflächige Abriegelungen des Verkehrsraums führen zu grossen Resonanzräumen und verstärken den Schall.
Die Lösung: Anstelle eines einzigen gross dimensionierten Baus empfehlen sich mehrere Baukörper. Die Baukörper verfügen über unterschiedliche Proportionen und Volumen. Bei beidseitiger Bebauung sollen die Öffnungen zwischen den Baukörpern versetzt zueinander platziert werden.
Sehr spitze und sehr stumpfe Gebäudeecken sind ein Nachteil. Wünschbar ist, sich am rechten Winkel zu orientieren und innerhalb der Bandbreite von 82 bis 98 Grad zu bleiben. Somit entstehen Teilräume ohne starre Verschneidungen und prominente Ecken.