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Erfolgserlebnis auf dem Taksim-Platz
Aus Kulturplatz vom 19.06.2013.
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Gesellschaft & Religion Taksim-Platz: Ein Blick zurück auf die Proteste der 70er Jahre

Ende der 1970er Jahre demonstrierte der Vater der heute in Genf lebenden Ufuk Emiroglu auf dem Taksim-Platz. Sein militanter Kampf für eine bessere Gesellschaft wurde mit Gefängnis und Folter bestraft. Jetzt hat die Tochter die Geschichte des Vaters in einem Dokumentarfilm aufgerollt.

Der Istanbuler Taksim-Platz, 1977: Tausende von Türken demonstrieren gegen das Regime. Dieses schlägt brutal zurück. Es gibt 37 Tote, viele werden verhaftet. Auch der Vater der Genfer Filmerin Ufuk Emiroglu ist unter den Demonstranten. Er überlebt, taucht ab und kämpft aus dem Untergrund für seine Idee einer kommunistischen Türkei. 1980 wird er verhaftet und brutal gefoltert. Als er fast stirbt, wird er in ein Militärspital gebracht und später, da man nichts aus ihm herausbekommt, freigelassen.

Über drei Jahrzehnte später zeigt Ufuk Emiroglu im Rahmen der Dokumentarfilmtage ihren Film «Mon père, la révolution et moi», in welchem sie die Geschichte ihres Vaters und die Ereignisse von damals aufrollt. Aber nicht in einem Kino, sondern just wieder auf dem geschichtsträchtigen Taksim-Platz. Für ihren Film wurde sie an den Dokumentarfilmtagen mit einem Talentpreis gekürt.

Parallelen und Unterschiede

Ein Polizist feuert Tränengas in Richtung Demonstranten
Legende: Immer noch brutal, aber nicht mehr mit scharfer Munition: Ein Polizist feuert Tränengas in Richtung Demonstranten. Keystone

Wie viel das Damals mit dem Heute zu tun hat, zeigen die neuesten Ereignisse in der Türkei: Als vor kurzem die türkische Bevölkerung gegen das Fällen alter Bäume im Gezi-Park in Istanbul demonstriert, kommt es auch hier zu einer Eskalation. Der Platz wird geräumt, wieder verhält sich die Polizei brutal.

Parallelen sieht die Genfer Regisseurin in der Ursache der Proteste. Die türkische Gesellschaft hätte sich damals wie heute mehr und mehr zersplittert und mehr und mehr seien abweichende Meinungen unterdrückt worden. Aber sie sieht auch deutliche Unterschiede: «Zur Zeit meines Vaters waren alle bewaffnet. Die Polizei schoss mit scharfer Munition, das war ein richtiger Krieg. Auch heute ist die Situation schwierig. Da ist Gewalt, aber es gibt nicht die vielen Toten wie damals. Mein Vater hat viele Freunde verloren, wie alle. Nach der Projektion des Filmes sind junge Leute zu mir gekommen und erzählten, die Geschichte meines Vaters erinnere sie an den eigenen Onkel oder an den Cousin. Viele Familien haben ähnliche Erinnerungen an diese Zeit und die sind noch sehr präsent. Ich glaube, man will nicht die gleichen Fehler wie damals machen.»

Das Revolutionäre verflüchtigt sich

Als ihr Vater seinen Kampf führt, ist Ufuk Emiroglu noch ganz klein. Seit damals ist viel passiert: Die Emiroglus kommen 1984 als Flüchtlinge in die Schweiz. Hier erlebt die Familie zum ersten Mal eine Art normales Familienleben. Aber nicht lange. Der Vater beginnt von La Chaux-de-Fonds aus Geld zu fälschen, um den Widerstand in der Türkei zu finanzieren. Er wird verhaftet. Nach vier Jahren Gefängnis verfällt er dem Glücksspiel und dem Alkohol. Im Film erzählt die Tochter, wie er seinen Kindern das Taschengeld klaut um seine Sucht zu befriedigen. Will Ufuk ihren Vater sehen, muss sie in Bars gehen, die ihre Mutter verabscheut. «Der Held meiner Kindheit ist eine Null geworden. Es gibt nichts Revolutionäres mehr an ihm», resümiert die Emiroglu die Situation damals. Die Familie zerbricht.

Ufuk Emiroglu

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Wurde 1980 in Antalya geboren. 1984 flüchtete die Familie in die Schweiz, nach Neuchâtel. Unterdessen lebt sie in Genf und realisiert seit 10 Jahren Filme als Regisseurin und Kamerafrau.

Jeder leistet seinen Beitrag

Die Geschichte wiederhole sich in gewisser Weise, auch wenn die Umstände natürlich andere seien, sagt Ufuk Emiroglu. «Diesen Film zum ersten Mal ausgerechnet auf dem Taskim-Platz zu zeigen inmitten von Menschen, die sich zum Protest versammelt haben, ist sehr berührend.» Damit könne sie auch einen Beitrag leisten und ihre Stimme erheben. «Als ich in der Türkei war, rief mein Vater an und dankte mir, dass ich auf dem Taksim-Platz sei und an seiner Stelle mitkämpfe. Da hatte ich plötzlich den Eindruck, eine Verbindung zwischen Damals und Heute herzustellen, zwischen ihm und seinem Heimatland, in das er immer noch nicht zurück kann.» Und ihr wurde erst recht klar, dass sie den Widerstand gegen Erdogans Diktat nicht so schnell aufgeben wird. Ein nützliches Accessoire dafür hat sie bereits erhalten: eine Gasmaske.

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