Mit Heimat und unserer Vorstellung davon beschäftigen Sibylle Lichtensteiger und Lukas Schweingruber sich in ihrer Arbeit fast täglich.
Lichtensteiger hat als Leiterin des Stapferhaus Lenzburg die Ausstellung «HEIMAT. Eine Grenzerfahrung» gestaltet. Schweingruber ist Landschaftsarchitekt und denkt als Teil des Architektenkollektivs «Bibergeil» darüber nach, wie der Aargau gestaltet werden soll, um seine Identität zu bewahren.
SRF: Brauchen wir Heimat?
Lukas Schweingruber: Ja. «Heimat» bedeutet für mich, einen Bezug zu etwas zu haben, verortet zu sein – sei das physisch oder mental. Deswegen ist Heimat für mich weniger ein Ort, sondern vielmehr ein Gefühl. Etwas, in dem ich mich verankern kann.
Heimat ist für mich kein Ort, sondern ein Gefühl.
Sibylle Lichtensteiger: Ich glaube auch: Heimat ist ein Grundbedürfnis. Gerade in einer Zeit, in der die Dynamik extrem gross ist, wo Veränderungen und Unsicherheiten da sind. Da hat man das verstärkte Bedürfnis nach Sicherheit und Identität – und in diesem Sinn nach «Heimat».
Wann haben Sie das erste Mal bewusst «Heimat» erlebt?
Sibylle Lichtensteiger: Als Kind, dann war «Heimat» allerdings vorerst vor allem «Heimweh»: Ich erinnere mich an einen Aufenthalt in Holland – zusammen mit meiner besten Freundin, die Holländerin ist. Es war fantastisch, aber ich hatte schreckliches Heimweh.
Vielleicht war das der erste Moment, in dem ich an Heimat gedacht habe, weil ich die Heimat plötzlich nicht mehr bei mir hatte. Für mich hat Heimat grundsätzlich sehr viel mit Menschen zu tun.
Lukas Schweingruber: Ich hab zum ersten Mal realisiert, was «Heimat» bedeutet, als ich länger im Ausland war und merkte, wie anders die Werte waren. Es ist relativ einfach: Du gehst ins Ausland und merkst, was du eigentlich zu Hause hast.
Sibylle Lichtensteiger: Es ist auch spannend, wie in einem solchen Fall die eigene Identität ganz schnell schrumpft auf «Schweizer» oder «Schweizerin» – eine Form der Identität, die normalerweise weniger ein Thema ist.
Die Identität schrumpft ganz schnell auf ‹Schweizer› oder ‹Schweizerin›
Gibt es ein Bild, das für Sie «Heimat» verkörpert?
Lukas Schweingruber: Ja, ein Foto aus dem Familienalbum: Grossvater und Grossmutter im Stall. In Wirklichkeit habe ich sie nie so erlebt – ich kenne das Bild nur aus dem Album. Aber dieses Bild steht für mich für «Heimat».
Sibylle Lichtensteiger: Ich glaube, für mich entspricht kein Bild Heimat, sondern eher Gerüche, Töne und Fragmente. Ausser vielleicht die Berge. Wenn wir aus den Ferien im Ausland zurückkommen, dann finde ich die schon toll ( lacht ). Diese Berge und Bergspitzen, vielleicht ist es das Archaische, das Ewige – das «die Zeit überdauernde» – das mich darin anspricht.
Lukas Schweingruber: Auch in Klischees kann man sich wiederfinden, auch das ist Heimat.
Kann Heimat auch gefährlich werden?
Sibylle Lichtensteiger: Ja, wenn «Heimat» überhöht wird, wenn eine Person oder Nation sich zu sehr abgrenzt, eingrenzt, einigelt, dann wird «Heimat» gefährlich. Die Geschichte hat dies ja gezeigt: Im Nationalismus – auch im Nationalsozialismus – wurden Heimatbilder stark klischiert und überhöht. Deswegen ist der Heimatbegriff auch recht lange recht verpönt gewesen.
Heimat wird primär rückwärts gerichtet gedacht.
Lukas Schweingruber: Heimat wird ja primär rückwärts gerichtet gedacht: Heimat war immer früher. Daran kann man im Jetzt nichts mehr verändern. Es besteht die Gefahr, dass man sie verklärt – was dazu führt, dass sie eigentlich immer nur schlechter werden kann. Dieses Referenzieren auf früher nimmt einem gefangen. Und das ist gefährlich – politisch ebenso wie persönlich.
Das Gespräch führte Maya Brändli
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 06.03.2017, 9:02 Uhr