Ursprünglich war sie Anwältin in Südafrika. Heute gibt sie Tantra-Kurse im Emmental, direkt neben einem Kuhstall. Diana Richardson gilt als internationale Koryphäe in Sachen Tantra.
Zusammen mit ihrem Partner bietet sie einwöchige Kurse an zum Thema «Liebe machen». In ihren Seminaren und Büchern wirbt sie für langsamen und achtsamen Sex. Der Orgasmus darf nicht Ziel der Sache sein, meint Richardson. Das führe letztlich nur zu Anspannung und Frustration.
Mit etwas Übung kann diese Art von ziellosem Sex sogar zu einer spirituellen Erfahrung werden, meint die Tantra-Lehrerin: «Körperliche Grenzen lösen sich auf. Man fühlt sich eins mit dem ganzen Universum.»
Neo-Tantra aus Indien
Gelernt hat Richardson diese spirituelle Art der Sexualität in Indien. Sie war 12 Jahre lang in Poona bei dem indischen Philosophen und spirituellen Lehrer Osho, auch Bhagwan genannt.
Der ebenso umstrittene wie einflussreiche Guru machte Tantra in den 70er Jahren zu einem spirituellen Exportschlager für der Westen. Er war es auch, der Tantra eng mit Sexualität in Verbindung brachte und damit das prägte, was heute «Neo-Tantra» genannt wird.
Mit den ursprünglichen Ideen von Tantra hat das aber wenig zu tun, meint der Tibetologe Jan-Ulrich Sobisch. Die Wurzeln von Tantra liegen im Hinduismus und im Buddhismus und sind äusserst vielfältig.
Magische Kräfte durch Tantra
Auf der einen Seite gab es asketische Strömungen, die den Verzicht und die Selbstbeherrschung betonten. Auf der anderen Seite aber gab es ekstatische, wilde Praktiken, in denen «unreine» Körpersubstanzen wie Menstruationsblut oder Sperma eine Rolle spielten.
Die Tantriker wollten sich so magische Kräfte aneignen. Dazu mussten sie Tabus brechen. Manche Anhänger assen gar das Fleisch von Verstorbenen.
Dieses verbotene, ja widerwärtige Verhalten sollte dabei helfen, Gegensätze zu überwinden – zwischen dem Reinen und Unreinen, dem Göttlichen und dem Weltlichen.
Tabus brechen
Viele Tantriker lehnten auch die Trennungen des indischen Kastenwesens und die Hierarchie der Geschlechter ab. Nicht ohne Grund spielt die weibliche Ur-Kraft «Shakti» im Tantra bis heute eine wichtige Rolle.
Auch das Brechen von Tabus, das Überschreiten von Grenzen spielt bei heutigen Tantra-Praktiken noch eine Rolle, jedoch nur am Rand.
Die Zürcher Tantra-Masseurin Livia Lea Maag meint dazu: «Frauen, die ihre Tage haben und mich fragen, ob sie trotzdem in die Tantra-Massage kommen können, denen antworte ich: Ja, sehr gerne. Dein Blut ist nicht schmutzig.»
Mit Lust zur Erleuchtung
Ähnlich sei es bei Menschen, die Lust haben, ihren Analbereich zu entdecken, sich aber dafür schämen: «Es geht darum, in eine Entspanntheit zu kommen und zu spüren: Alles ist willkommen. Das ist eine Form von Befreiung.»
Eine Befreiung, die nach Maag auch eine spirituelle Komponente hat: «Ein Ziel der tantrischen Philosophie, wie ich sie verstehe, ist es, die körperliche, sexuelle Energie zu sublimieren und sie nicht in einem Orgasmus hinauszulassen.»
Anders als bei vielen Weltreligionen gilt für Tantra und insbesondere für Neo-Tantra also: Der Körper und die sexuelle Lust sind kein Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung, sondern eine Art Abkürzung.
Wie dieser spirituelle Königsweg der Lust aber genau funktioniert und was «Erleuchtung» dabei bedeutet, bleibt fraglich.
Ebenso fraglich bleibt, wie viel die zeitgenössischen Tantra-Angebote noch mit den Praktiken der alten Tantriker in Indien zu tun haben. Fakt aber ist: Wenn «Tantra» draufsteht, sind unsere Fantasien und Sehnsüchte geweckt.