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Terrorismus 1978 «Der Terror wurde nie als etwas Schweizerisches wahrgenommen»

Die Entführung des einstigen italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro, der italienische Terror und die Verbindungen zur deutschen RAF: Dies alles hatte auch Ausläufer in die Schweiz. Sie war gewissermassen Verbindungsglied zwischen der Terrororganisation Brigate Rosse und der RAF – ein Transitland für Terroristen. Entscheidend aber war, dass der Terror in der Schweiz stets als etwas Fremdgemachtes galt, sagt die Historikerin Dominique Grisard mit Blick auf die damalige Zeit.

SRF: Als Aldo Moro am 16. März 1978 entführt wurde: War die Schweiz damals eine Insel der Ruhe vor dem Terror?

Dominique Grisard: Überhaupt nicht. Ein Beispiel dafür ist der Terroristenprozess 1978 im kleinen Städtchen Pruntrut gegen zwei Mitglieder der linksterroristischen Vereinigung «Bewegung 2. Juni». Sie hatten im Jura Grenzzöllner angeschossen und schwer verletzt. Dieser Prozess fand national grosse Beachtung und war polizeilich hoch gesichert.

Wovor hatte man Angst?

Man fürchtete sich davor, dass der Terrorismus von Deutschland und Italien in die Schweiz käme. Das Entscheidende dabei ist: Der Terror wurde nie als etwas Schweizerisches wahrgenommen. Man wollte nicht wahrhaben, dass es in der Schweiz solche Agitation gab.

Dominique Grisard

Historikerin

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Historikerin Dominique Grisard lehrt am Zentrum für Genderforschung der Universität Basel und ist Mitbegründerin des Swiss Center For Social Research. Mit «Gendering Terror: Eine Geschlechtergeschichte des Linksterrorismus in der Schweiz» hat sie ein wegweisendes Buch zur Rolle der Frauen im Terrorismus geschrieben.

Universität Basel

Dennoch gab es diese: Eine prominente Figur war die deutsch-italienische Terroristin Petra Krause. Sie kam 1974 in die Schweiz und war hier rund ein Jahr lang aktiv. Welche Rolle spielte sie in der Schweiz?

Petra Krause war vor allem in Sachen Vernetzung wichtig: zwischen den deutschen Terroristen, der italienischen ausserparlamentarischen Linken und der Brigate Rosse.

Schwarz-weiss Porträt einer Frau mit kurzen Haaren und dunklem Rollkragenpullover.
Legende: Das Gegenbild der «guten Schweizer Hausfrau»: Petra Krause auf einer undatierten Aufnahme. Keystone

Wie funktionierte Krause als Verbindung zwischen der RAF und der Brigate Rosse?

Krause ist gebürtige Deutsche und hatte laut eigener Aussage eine traumatische Geschichte. Ihre Kindheit verbrachte sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft teilweise in Konzentrationslagern, hat da ihre Familie verloren und kam dann zu Adoptiveltern. Als Jugendliche haute sie ab, heiratete einen italienischen Arzt und kam so nach Italien. Dort verbündete sie sich mit Anarchisten.

Ihnen ging es weniger darum, die Missstände in der Schweiz anzuprangern – sie haben sich eher mit den Anarchisten in Spanien oder Italien solidarisiert.

Ob sie selber Anarchistin war, weiss man nicht – überhaupt weiss man wenig über ihre Ideologie. Aber sie hatte Kontakte zur ausserparlamentarischen Linken in Italien und dadurch auch zu den Linken in der Schweiz.

Petra Krause und ihre Zelle haben eine Reihe von Munitionsdepots in der Schweiz ausgehoben und die Brigate Rosse und die RAF mit Waffen versorgt. Wie ging das?

Das war sehr handgestrickt. Die Zelle existierte bereits seit 1971 und bestand zunächst aus drei jungen Zürchern. Sie haben sich organisiert und Kontakte mit Italien geknüpft.

Ihnen ging es aber weniger darum, die Missstände in der Schweiz anzuprangern – sie haben sich eher mit den Anarchisten in Spanien oder Italien solidarisiert. Die Waffen, die schliesslich bei der RAF landeten, waren denn auch für die Anarchisten in Spanien gedacht.

Für Frauen herrschten in den Gefängnissen damals schwierige Verhältnisse.

Krause war der Kopf der Gruppe und hatte grossen Einfluss. Wie war das Verhältnis zwischen diesen jungen Schweizer Männern und dieser etwas älteren, erfahrenen Frau?

Viele Medien spekulierten darüber und schrieben, dass die Jungs abhängig waren von ihr und nur noch gemacht hätten, was Krause ihnen befahl. Später sagten die jungen Männer aus, dass Krause gar nicht richtig zur Gruppe gehört hätte und dass sie ihren richtigen Namen gar nicht kannten. Sie spielten da auch ein bisschen die Naiven, um Verantwortung abzugeben, damit sie weniger harte Strafen erhielten.

1975 kam Krause in Isolationshaft und machte dann Geschichte, indem sie sich mit einem Hungerstreik dagegen wehrte.

Sie trat mehrfach in den Hungerstreik, wie viele Terroristen in dieser Zeit. Für Frauen herrschten in den Gefängnissen damals schwierige Verhältnisse. Zustände, die Krause schwer zugesetzt haben: Sie ist abgemagert und krank geworden.

Da schillerte immer das Bild von der fremden Bedrohung

Später dann hat sie durch mehrere Hungerstreiks ihren Körper bewusst als Waffe benutzt. Eine Möglichkeit für sie, nicht nur als Opfer dazustehen, sondern auch zu agieren – und öffentliche Wirksamkeit zu erzielen.

Eine dünne Frau mit Sonnenbrille steigt aus einem Flugzeug und wird links und rechts von Männern festgehalten.
Legende: Klein, zierlich, gefährlich: Petra Krause 1977 auf dem Flughafen in Rom. Keystone

Wie haben die Medien Petra Krause dargestellt?

Einerseits als Verführerin der jungen Männer. Andererseits klar als die Fremde – eine Nicht-Schweizerin, die besonders gefährlich war. Das Bild funktionierte aber nicht, weil Krause äusserlich dünn und zerbrechlich erschien.

Häufig wurde die «gute Schweizer Hausfrau» einer Petra Krause und anderen Terorristinnen entgegengestellt

Die Medien brachten dies nicht zusammen: Wie konnte eine so zierliche Person zu solchen Taten fähig sein? Da schillerte immer das Bild von der fremden Bedrohung, die nicht nur den Terrorismus, sondern auch die Emanzipation der Frau in die Schweiz brachte.

Auf den Punkt gebracht: Der Terrorismus in der Schweiz war in den späten 1970er-Jahren etwas Unschweizerisches, Weibliches, total Fremdes.

Tatsächlich: Der Terrorismus wurde zu etwas stilisiert, das überhaupt nicht zur Schweiz gehört. Häufig wurde die «gute Schweizer Hausfrau» einer Petra Krause und anderen Terorristinnen entgegengestellt: Da die gefährlichen Frauen, die die Ideologien des Feminismus und der Gewalt in die Schweiz bringen – und hier die Schweiz, die damit überhaupt nichts zu tun hat.

Das Gespräch führte Christoph Keller.

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