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Teurer Klimawandel Nachhaltige Städte – aber nur mit sozialer Ausgrenzung?

Nachhaltiges Bauen und Wohnen heisst oft vor allem eines: Mieterhöhung. Das können sich längst nicht alle leisten.

Quer durch die ganze Schweiz, von Ilanz bis Genf, wird im Rahmen der Klimawanderung gewandert – eine Aktion, um Lösungen gegen den Klimawandel auszuarbeiten. An Etappenorten gibt es Veranstaltungen, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen. So auch in St. Gallen, wo das Institut für Soziale Arbeit der Fachhochschule Ost eine Diskussion mit dem Titel «Das Klima braucht sozialen Wandel» organisierte.

Ökologisch Bauen: ja, aber...

Mitorganisator ist Christian Reutlinger, Leiter des Instituts für Soziale Arbeit und Räume. Als Sozialgeograf setzt er sich unter anderem mit der Quartier-, der Siedlungsentwicklung und dem sozialen Zusammenhalt auseinander. Für Reutlinger stelle sich die Frage, wie sich die Probleme, die sich aus dem Klimawandel ergeben, gemeinsam lösen lassen.

«Ökologisches Bauen etwa wird zentral sein», sagt Reutlinger. Ökologisches Wohnen ziele darauf ab, Häuser und Siedlungen nach Minergie-Standards zu errichten und andere Siedlungsformen zu finden. «Solche Standards können sich aber nicht alle Menschen leisten», betont Reutlinger.

Die vergessenen Kosten für technische Innovation

Wenn die Hauseigentümer beispielsweise Öl- und Gas-Heizungen durch nachhaltige Lösungen ersetzen, wenn sie Häuser sanieren oder klimaneutral neu bauen, steigen die Mieten. Solche Umbauten wirken sich also auch in sozialer Hinsicht aus. «Wir haben die Schwierigkeit, dass Menschen, die sich das nicht leisten können, ihren Wohnraum nicht mehr selber wählen können», so Reutlinger. Oder anders ausgedrückt: Menschen mit wenig Ressourcen werden verdrängt.

Fördern die Klimaziele soziale Spaltung?

Für die Gesamtgesellschaft heisse dies, dass es zu Spaltungstendenzen komme. Es entstünden sogenannte «abgehängte Stadtteile»: Regionen, wo nur Menschen mit wenig Ressourcen wohnen. In den Zentren blieben hingegen eher Menschen mit viel Ressourcen zurück. Ein Effekt, der bisher in der Schweiz noch nicht stark ausgeprägt sei, so Reutlinger.

«Daraus können sich soziale Konflikte ergeben, wenn nicht alle Menschen die gleichen Teilhabe-Chancen oder die gleichen Zugänge haben», betont der Sozialgeograf. Das habe grosses Potential an Zündstoff für soziale Unruhen.

Wie sieht eine solidarische Gesellschaft aus?

Der Klimawandel stellt die Gesellschaft also vor soziale Herausforderungen, die nicht weniger komplex sind als die technologischen und finanziellen. Es geht nicht nur darum, welche Energien nachhaltig sind, und welche technischen Neuerungen zum Erreichen der Klimaziele beitragen können.

Es geht nicht nur darum, was wieviel kostet – und wer die Rechnung bezahlt. Sondern auch darum, wie die Gesellschaft solidarisch dazu beitragen kann, ohne jemanden abzuhängen

Die Klimawandernden dürften während ihrer Reise durch die Schweiz reichlich Zeit haben, sich mit den Denkanstössen der Diskussion in St. Gallen zu beschäftigen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 10.6.2021, 17:10 Uhr ; 

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