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Trend nach rechts? «Der Konservative misstraut den Angstmachern»

Ist Konservativismus der neue Trend? Zumindest in der Politik ist immer wieder die Rede von einer konservativen Wende. Der Philosoph Michael Kühnlein hegt seine Zweifel, ob diese Einschätzung den Tatsachen entspricht.

SRF: Herr Kühnlein, immer wieder ist die Rede von einer «konservativen Wende» in der Politik. Gibt es die wirklich?

Michael Kühnlein: Eine spezifische «Wende» sehe ich eigentlich nicht. Eher folgt sie einem Algorithmus der Krise: «Konservatives» Denken ist immer dann populär, wenn die Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der demokratischen Ordnung zunimmt. Insofern ist der Konservatismus immer ein Begleitphänomen der Moderne.

Michael Kühnlein

Philosoph

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Michael Kühnlein ist Dozent für Philosophie an der Universität Frankfurt am Main und Lehrbeauftragter für Politische Philosophie an der Universität Heidelberg. Im Herbst erscheint sein Buch „Was ist konservativ?“ bei Duncker und Humblot in Berlin mit Essays von Politikern, Wissenschaftlern und Schriftstellern.

Warum beunruhigt ein erstarkender Konservativismus denn viele?

Weil er im Zuge der Flüchtlings- und Islam-Debatten leider auch dafür genutzt wird, sich dem enthemmten Ressentiment gegenüber dem Fremden hinzugeben. Man kann sich heute nicht mehr sicher sein, dass dort, wo Konservatismus draufsteht, auch tatsächlich Konservatismus drinsteckt.

Die politische Mitte reagiert auf diese Tabubrüche mit moralischer Skandalisierung, um Gefahren für die demokratische Ordnung abzuwehren.

Was müsste denn drinstecken, damit es kein Etikettenschwindel wäre?

Man müsste zunächst einmal begreifen, dass ein wohl verstandener Konservatismus die Gesellschaft gegen die populistische Versuchung widerstandsfähiger macht. Denn Konservatismus heisst nicht, an überkommenen Traditionen festzuhalten oder der Logik der Strasse zu folgen. Vielmehr misstraut der Konservative im Blick auf die Geschichte gerade jenen Angstmachern, die meinen, sie sprächen für das «Volk».

Bekennende Konservative wie Martin Mosebach oder Ulrich Greiner beklagen, dass sie in die rechte Ecke gestellt würden, und von da sei es für viele nicht weit in die rechtsradikale Ecke. Stimmt das?

Ich denke, dass die existenziellen Krisen der letzten Jahre, etwa die Finanz- und die Flüchtlingskrise, die gesellschaftlichen Grenzen des Sagbaren verschoben haben. Die politische Mitte reagiert auf diese Tabubrüche mit moralischer Skandalisierung, um Gefahren für die demokratische Ordnung abzuwehren. Da geht man schon mal präventiv vor, um die eigenen Reihen zu schliessen.

Jeder Philosoph sollte auch ein Stück weit konservativ sein.

Was interessiert einen Philosophen wie Sie am Konservatismus?

Philosophie ist wie keine zweite Wissenschaft dafür prädestiniert, aus der Vergangenheit zu lernen. Dazu gehört auch die Erfahrungen des Guten, Wahren, Schönen und Gerechten für die Zukunft zu bewahren. In diesem Sinne sollte jeder Philosoph auch ein Stück weit konservativ sein.

Arbeiten Sie deshalb an einem Buch zum Thema?

Ja, aber zusätzlich hat mich, wenn man so will, der Blick durchs Schlüsselloch gereizt. Der Begriff des Konservativen hat auch eine ganz persönliche Resonanzschwingung. Denn er verkörpert ein festes Setting an Werten, Traditionen und Ritualen, mit denen wir bewusst oder unbewusst aufwachsen. Wir können sie später fortführen oder gegen sie aufbegehren – stets bleiben wir aber im Dialog mit ihnen.

Und dann gibt es noch die stillen Momente im Leben, die uns wieder über das sprechen lassen, was wir vielleicht schon verloren oder vergessen glaubten: eine wehmütige Erinnerung, eine plötzliche Begegnung, ein verstohlener Blick.

Wenn man so will, ist jede Erfahrung, die uns in einen Kontakt mit uns selbst bringt, ihrer Struktur nach konservativ. Ich wollte bei diesen persönlichen Erfahrungen ansetzen – jenseits des ideologischen Ballasts.

Das Gespräch führte Barbara Bleisch.

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