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Ukraine-Krieg Der Klang der Trauer: So ehrt die Ukraine gefallene Soldaten

Auf dem Marsfeld in Lwiw, der grössten Kriegsgräberstätte des Landes, wird täglich ein gefallener Soldat zu Grabe getragen – begleitet von Gebeten, Tränen und Musik.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind nach offiziellen Angaben über 31’000 ukrainische Militärangehörige gestorben – inzwischen dürfte diese Zahl weiter gestiegen sein. Überall im Land finden Bestattungen statt, die Soldatenfriedhöfe wachsen unaufhörlich, während die Kämpfe im Osten des Landes immer brutaler werden.

In Lwiw befindet sich die grösste Kriegsgräberstätte der Ukraine – der «Friedhof des Ruhms». Beinahe täglich finden dort Bestattungen statt, manchmal mehrere am Tag.

Friedhof mit vielen Kerzen und ukrainischen Fahnen
Legende: Der «Friedhof des Ruhms» in Lwiw wird auch «Marsfeld» genannt. Er ist der grösste Militärfriedhof der Ukraine. Das Leid des Landes durch den russischen Angriffskrieg ist auf dem Marsfeld mit Händen zu greifen. SRF/Roman Schell

Die Bestattungen werden begleitet von Militärmärschen, Requien und Klageliedern zweier militärischer Blasorchester, die sich abwechseln – in Lwiw ebenso wie in zahlreichen Dörfern der Westukraine. Musik als letzter Gruss und als Zeichen von Würde.

«Jede Zeremonie symbolisiert die Würde»

Das Militärorchester wird dirigiert von Roman Wowk. Der schlanke Mann mit grauem Haar und festem Blick hat seit Beginn des russischen Besatzungskrieges an mehr als 500 Bestattungen den Gefallenen mit seiner Musik die letzte Ehre erwiesen.

Mann in Militärkleidern
Legende: Roman Wowk bei einer Beerdigung in der Westukraine. Der Leiter des Blasorchesters der 2. Galizischen Brigade der Nationalgarde der Ukraine hat seit Kriegsbeginn an mehr als 500 Soldatenbestattungen teilgenommen. SRF/Roman Schell

«Dieses Ritual ist wichtig, weil unsere Helden die Ehre verdienen – im Bewusstsein, welchen Preis sie für die Ukraine gezahlt haben. Jede Zeremonie symbolisiert die Würde eines jeden Soldaten», sagt Roman Wowk.

Jede Bestattungszeremonie in Lwiw beginnt in der Garnisonkirche der Heiligen Apostel Peter und Paul im Zentrum der Stadt. Danach zieht ein Trauerzug durch die Stadt, begleitet von Blasmusik.

Altstadt von Lwiw bei Regen, Personen mit Regenschirmen
Legende: Nach der Zeremonie in der Kirche zieht ein Trauerzug durch die Stadt, begleitet von Roman Wowks Blasorchester. Dafür steht die Stadt einen Moment still. SRF/Roman Schell

Nach der Ankunft am Friedhof spielt das Orchester die ukrainische Nationalhymne. Die Flagge vom Sarg wird der Familie überreicht – ein Moment, in dem viele Angehörige in Tränen ausbrechen.

Bis der Sarg zum Grab getragen wird, erklingen ukrainische Trauermärsche. Die Gesichter der Musiker bleiben unbewegt, der Blick diszipliniert nach vorn – obwohl diese Momente auch für sie schwer auszuhalten sind.

Olhas Verlust

Das ganze Jahr über liegt eine schwere Luft über dem Marsfeld. Angehörige besuchen die Gräber, legen Blumen nieder, umarmen die Kreuze – und weinen. So auch Olha Yurkevich, die Mutter des im November 2024 gefallenen Soldaten Stepan.

Frau in schwarzen Kleidern auf Friedhof, neben ihr Kreuz und Foto eines Soldaten
Legende: Olha Yurkevich, die Mutter eines im November 2024 gefallenen Soldaten, trauert an seinem Grab. SRF/Roman Schell

«Mein Sohn war wie viele ukrainische Männer bei der Armee», sagt sie. «Er wollte in einem unabhängigen Land leben – und ist gefallen. So viele unserer Kinder fallen im Krieg. Sie tun mir so leid». Die Ukraine sei von Kummer übersät. Russland habe ihnen grosses Leid angetan.

Ein Dorf kniet

Anfang August spielt das Orchester im Dorf Chornushovychi, rund 30 Kilometer von Lwiw entfernt. Das ganze Dorf empfängt den Sarg eines gefallenen Soldaten. Hunderte Menschen knien am Strassenrand, während der Leichenwagen zur Kirche fährt.

Fast alle der 600 Einwohnerinnen und Einwohner sind anwesend. Roman Wowks Orchester marschiert vor dem Sarg her. Mehrere Kinder tragen eine ukrainische Flagge.

Kinder sammeln für die Armee – mit Musik

Auch das Kinder- und Jugendorchester Brailiv spielt gelegentlich bei Beerdigungen gefallener Soldaten. Die meiste Zeit aber tritt das Kollektiv unter der Leitung von Vitali Todossyuk auf, um Spenden für die ukrainische Armee zu sammeln.

Todossyuk sagt: «Unsere Mission in diesem Krieg ist die Unterstützung unserer Armee. Wir sammeln Spenden, spielen Volks- und patriotische Lieder. Mehr als vier Millionen Hrywnja haben wir aufgebracht (rund 78'000 Franken).» Mit diesem Geld hätten sie schon 28 Fahrzeuge und Ausrüstung für die Armee gekauft.

SRF 1, 10 vor 10, 20.8.2025, 21:50 Uhr

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