Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind nach offiziellen Angaben über 31’000 ukrainische Militärangehörige gestorben – inzwischen dürfte diese Zahl weiter gestiegen sein. Überall im Land finden Bestattungen statt, die Soldatenfriedhöfe wachsen unaufhörlich, während die Kämpfe im Osten des Landes immer brutaler werden.
In Lwiw befindet sich die grösste Kriegsgräberstätte der Ukraine – der «Friedhof des Ruhms». Beinahe täglich finden dort Bestattungen statt, manchmal mehrere am Tag.
Die Bestattungen werden begleitet von Militärmärschen, Requien und Klageliedern zweier militärischer Blasorchester, die sich abwechseln – in Lwiw ebenso wie in zahlreichen Dörfern der Westukraine. Musik als letzter Gruss und als Zeichen von Würde.
«Jede Zeremonie symbolisiert die Würde»
Das Militärorchester wird dirigiert von Roman Wowk. Der schlanke Mann mit grauem Haar und festem Blick hat seit Beginn des russischen Besatzungskrieges an mehr als 500 Bestattungen den Gefallenen mit seiner Musik die letzte Ehre erwiesen.
«Dieses Ritual ist wichtig, weil unsere Helden die Ehre verdienen – im Bewusstsein, welchen Preis sie für die Ukraine gezahlt haben. Jede Zeremonie symbolisiert die Würde eines jeden Soldaten», sagt Roman Wowk.
Jede Bestattungszeremonie in Lwiw beginnt in der Garnisonkirche der Heiligen Apostel Peter und Paul im Zentrum der Stadt. Danach zieht ein Trauerzug durch die Stadt, begleitet von Blasmusik.
Nach der Ankunft am Friedhof spielt das Orchester die ukrainische Nationalhymne. Die Flagge vom Sarg wird der Familie überreicht – ein Moment, in dem viele Angehörige in Tränen ausbrechen.
Bis der Sarg zum Grab getragen wird, erklingen ukrainische Trauermärsche. Die Gesichter der Musiker bleiben unbewegt, der Blick diszipliniert nach vorn – obwohl diese Momente auch für sie schwer auszuhalten sind.
Olhas Verlust
Das ganze Jahr über liegt eine schwere Luft über dem Marsfeld. Angehörige besuchen die Gräber, legen Blumen nieder, umarmen die Kreuze – und weinen. So auch Olha Yurkevich, die Mutter des im November 2024 gefallenen Soldaten Stepan.
«Mein Sohn war wie viele ukrainische Männer bei der Armee», sagt sie. «Er wollte in einem unabhängigen Land leben – und ist gefallen. So viele unserer Kinder fallen im Krieg. Sie tun mir so leid». Die Ukraine sei von Kummer übersät. Russland habe ihnen grosses Leid angetan.
Ein Dorf kniet
Anfang August spielt das Orchester im Dorf Chornushovychi, rund 30 Kilometer von Lwiw entfernt. Das ganze Dorf empfängt den Sarg eines gefallenen Soldaten. Hunderte Menschen knien am Strassenrand, während der Leichenwagen zur Kirche fährt.
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Bild 1 von 5. Eine Beerdigung im westukrainischen Dorf Chornushovychi, das rund 600 Einwohnerinnen und Einwohnern hat. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
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Bild 2 von 5. Nahezu das gesamte Dorf nimmt an der Abschiedszeremonie teil. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
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Bild 3 von 5. Viele Menschen sind in dunklen ukrainischen Trachten gekleidet. Kinder tragen die Flagge der Ukraine. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
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Bild 4 von 5. Die Kirchenglocken läuten, während der Sarg des gefallenen Soldaten durchs Dorf getragen wird. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
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Bild 5 von 5. Auf dem Rückweg nach Lwiw sagt Andriy, Musiker des Militärorchesters: «Physisch ist diese Arbeit nicht sonderlich schwierig. Aber emotional ist sie schwer auszuhalten.» Er habe selbst seinen Bruder beerdigt – er ist auch im Krieg gefallen. So etwas dürfe nicht zur Normalität werden. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
Fast alle der 600 Einwohnerinnen und Einwohner sind anwesend. Roman Wowks Orchester marschiert vor dem Sarg her. Mehrere Kinder tragen eine ukrainische Flagge.
Kinder sammeln für die Armee – mit Musik
Auch das Kinder- und Jugendorchester Brailiv spielt gelegentlich bei Beerdigungen gefallener Soldaten. Die meiste Zeit aber tritt das Kollektiv unter der Leitung von Vitali Todossyuk auf, um Spenden für die ukrainische Armee zu sammeln.
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Bild 1 von 3. Das Kinder- und Jugendorchester Brailiv bei einem Auftritt zur Spendensammlung für die ukrainische Armee in der Stadt Vinnitsa. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
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Bild 2 von 3. Dreimal pro Woche probt Vitali Todossyuk mit den Kindern und Jugendlichen von der 2. bis zur 11. Klasse. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
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Bild 3 von 3. Das Orchester tritt in acht Regionen der Ukraine auf, darunter auch in Kiew. Bildquelle: SRF/Roman Schell.
Todossyuk sagt: «Unsere Mission in diesem Krieg ist die Unterstützung unserer Armee. Wir sammeln Spenden, spielen Volks- und patriotische Lieder. Mehr als vier Millionen Hrywnja haben wir aufgebracht (rund 78'000 Franken).» Mit diesem Geld hätten sie schon 28 Fahrzeuge und Ausrüstung für die Armee gekauft.