Immer öfter reisen Paare, die keine Kinder bekommen können, dafür ins Ausland und engagieren eine Leihmutter – bis zu 1000 solche Kinder soll es in der Schweiz geben. In der EU ist Leihmutterschaft höchst umstritten, in der Schweiz verboten. Eine einheitliche Rechtsgrundlage gibt es nicht.
Die Rechtsprofessorin Andrea Büchler befasst sich mit dem Thema Leihmutterschaft. Sie sagt, die heutige Rechtsprechung habe das Wohl des Kindes zu wenig im Blick.
SRF: Sie haben sich in einem Buch unter anderem dem Thema Leihmutterschaft gewidmet. In der Schweiz ist diese Praxis gemäss Bundesverfassung verboten. Weshalb?
Andrea Büchler: Es wird unterstellt, dass Schwangerschaft und Geburt Voraussetzungen für «echte» Mutterschaft seien. Das ist aber eine kulturell geprägte Annahme, die auch hinterfragt werden kann.
Oft wird auch vorgebracht, dass Schwangerschaft und Geburt eine Beziehung begründen, die nicht ohne Schaden für Frau und Kind aufgelöst werden könne. Dafür gibt es aber keine empirischen Belege.
Ein Vorwurf besagt, Frauen würden bei der Leihmutterschaft instrumentalisiert.
Das muss nicht notwendigerweise der Fall sein. Sowieso ist unklar, was man mit Instrumentalisierung konkret meint. Die Würdeverletzung der Frau ist der Leihmutterschaft zumindest nicht eingeschrieben.
Entscheidend ist der Kontext, in welchem sie sich abspielt. Das heisst, ob die Leihmutter tatsächlich selbstbestimmt handelt und in ihrer Rolle respektiert wird. Auch ob ihre körperliche Integrität gewahrt bleibt, und wie die Beziehung zwischen Wunscheltern, Leihmutter und Kind ausgestaltet ist.
Und wie steht es um die Würde des Kindes, die Nähe zum Kinderhandel. Sehen Sie darin keine Würdeverletzung?
Das wäre dann der Fall, wenn der Vertrag die Herstellung und den Verkauf eines bestimmten Kindes zum Inhalt hätte. Bei der Leihmutterschaft trägt aber die Leihmutter einen Embryo für ein anderes Paar aus und die Frau wird dafür entschädigt.
Es braucht dringend ein mehrstaatliches Regelwerk.
Viele Paare gehen ins Ausland für eine Leihmutterschaft und umgehen so die Bundesverfassung. Wie ergeht es ihnen bei der Einreise in die Schweiz?
Das hängt davon ab, in welchem Land das Paar Leihmutterschaft in Anspruch nahm und ob die Wunscheltern genetisch mit dem Kind verwandt sind.
Viele Schweizer Paare gehen nach Kalifornien.
Dort ist kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt, verbreitet und geregelt. Sie steht auch gleichgeschlechtlichen männlichen Paaren offen. In Kalifornien basiert Leihmutterschaft auf einem notariell beurkundeten Vertrag.
Wunscheltern suchen meist bereits vor der Geburt des Kindes ein Gericht auf, das prüft, ob die Leihmutter auf ihre Elternrechte gültig verzichtet hat. Gestützt auf die gerichtliche Entscheidung wird dann die Geburtsurkunde ausgestellt, welche die Wunscheltern als Eltern des Kindes ausweist. Zudem erwirbt das Kind bei Geburt die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Wird dieser Gerichtsentscheid in der Schweiz anerkannt?
Grundsätzlich ja. Allerdings wird die Anerkennung verweigert, wenn damit offensichtlich gegen wesentliche Grundsätze des hiesigen Rechts verstossen wird. Etwa wenn keine genetische Beziehung zum Kind vorliegt.
In der Schweiz wird deshalb einzig der genetische Vater als solcher anerkannt, der andere Wunschelternteil muss das Kind erst adoptieren.
Das macht keinen Sinn für Sie?
Man vergisst das Kind in der Gleichung. Dieses ist bereits geboren, sein Wohl muss zentral berücksichtigt werden. Das Kind hat klarerweise ein Interesse daran, dass die Wunscheltern als solche anerkannt werden.
Und es widerspricht auch dem Wohl des Kindes, wenn die Leihmutter in die Rolle der Mutter gezwungen wird, obwohl sie für das Kind keine Verantwortung übernehmen möchte.
Sehen Sie eine Lösung für dieses Dilemma?
Es braucht dringend ein mehrstaatliches Regelwerk, das Mindeststandards dafür festhält, unter welchen Voraussetzungen ein Kindesverhältnis anerkannt werden kann.
Das Gespräch führte Olivia Röllin.