Eine Zahnarztrechnung oder eine Winterjacke für das Kind – für einige unbezahlbar. «Manche Leute sind wegen Corona in eine solche finanzielle Not geraten, dass eine einzelne Rechnung schlaflose Nächte bereitet», erklärt Nina vom Schweizer Projekt «Lohnteilen» .
Nina ist 19 Jahre alt und möchte hier nur mit dem Vornamen genannt werden. Dem Projekt begegnen zuweilen akute Notsituationen: «Andere stehen wegen ausstehender Krankenkassenprämien kurz vor einer Betreibung. In solchen Situationen braucht es schnell und unbürokratisch Hilfe.»
Schnelle Hilfe mit etwas Glück
Genau das verspricht das Projekt «Lohnteilen». Wer einen bestimmten Betrag braucht, erklärt in einer E-Mail die Situation und erhält dann – sofern das Projekt flüssige Mittel hat – Unterstützung. Das Geld, das der Verein an Bedürftige weitergibt, stammt aus Spenden.
«Manche Leute wenden sich an uns und bitten um Geld für Essen. Dann verschicken wir Essensgutscheine im Wert von 100 Franken. Wir haben aber auch schon einen Betrag von 2600 Franken gesprochen. Da ging es um ausstehende Wohnungsmieten», sagt Nina.
Bisher hat der Verein Lohnteilen 70'000 Franken umverteilt. Doch weil das Projekt klein und von Spenden abhängig ist, schwankt der Kontostand und damit die Höhe der Beträge, welche verteilt werden können. «Leider gibt es bei uns diese Willkür. Da hat man mal mehr Glück, mal Pech.»
Nur Symptombekämpfung?
Ist das Projekt nur ein Tropfen auf den heissen Stein? «Ja, das stimmt. Aber das ist der Spielraum, den wir haben. Und den nutzen wir», sagt Nina.
Die Idee von Lohnteilen ist Anfang des Jahres 2020 entstanden. Kurz darauf stiess Nina dazu. «Manchmal zweifle ich schon. Letztlich betreiben wir Symptombekämpfung. Gleichzeitig sehe ich aber, dass auch ein kleiner Beitrag eine grosse Wirkung haben kann.»
Leider gibt es bei uns diese Willkür. Da hat man mal mehr Glück, mal Pech.
Dann zum Beispiel, wenn mit dem Geld von «Lohnteilen» eine Betreibung verhindert werden konnte. So wie bei Rico Santos. Der gut 50-jährige Betriebswirt konnte sich während der Pandemie nicht operieren lassen und verlor schliesslich auch seine Stelle. Von «Lohnteilen» erhielt er das Geld für die Krankenkassenprämien – für ihn ein Segen (siehe Box). «Diese Rückmeldung bekommen wir immer wieder», sagt Nina.
Eine E-Mail genügt
Fiona engagiert sich ebenfalls bei «Lohnteilen». Genau diese Art von Feuerlöschen sei die Stärke des Projekts. «Wir sind schnell. Das Geld kann innerhalb von 24 Stunden überwiesen werden. In Fällen von drohenden Betreibungen kann das entscheidend sein.»
Das Tempo ist deswegen möglich, weil Lohnteilen auf Bürokratie verzichtet. Eine E-Mail genügt. Öffnet das nicht Tür und Tor für Missbrauch? «Manchmal stellen wir Nachfragen», so Fiona. «Aber als privates Projekt haben wir die Freiheit, zu vertrauen.»
Umverteilung im kleinen Rahmen
Vertrauen und Solidarität sind zwei wichtige Pfeiler vom Projekt. «Die Coronakrise hat die Ungleichheit in der Schweiz verstärkt. Wir wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten für einen Ausgleich sorgen. Letztlich machen wir Umverteilung», so Nina.
Von Umverteilung ist üblicherweise in staatlichen Zusammenhängen die Rede. Dann, wenn ein Staat durch finanz- oder sozialpolitische Massnahmen Einfluss nimmt auf das Einkommen oder Kapital verschiedener Bevölkerungsgruppen.
Zum Beispiel mit Steuerpolitik, mit Sozialleistungen oder Subventionen. Je nach Art der Umverteilung kann es zu einer grösseren ökonomischen Gleichheit innerhalb der Bevölkerung kommen – oder zu einer grösseren ökonomischen Ungleichheit.
Lohnteilen macht genau das im freiwilligen Rahmen. Es ist ein kleines Projekt, das auf Grösseres verweist.
Die Grenzen des Projekts
Aber manche Anfragen sind zu gross. «Es gibt Fälle, die so komplex sind, dass sie unseren Rahmen sprengen. Da steckt manchmal eine jahrelange Leidensgeschichte dahinter», so Fiona.
«Dann verweisen wir an weitere Hilfsangebote, zum Beispiel die Schuldenberatung. Oder wir klären auf, dass auch Anrecht auf Sozialhilfe oder Erwerbsersatz besteht. Wir können nur punktuell helfen.» Für eine unbezahlte Zahnarztrechnung oder eine Winterjacke für das Kind.