Das Wichtigste in Kürze
- Die Urbevölkerung Skandinaviens, die Samen, erlebten Jahrhunderte lang Unterdrückung .
- Marja Helander setzt sich künstlerisch mit dem heutigen Gegensatz zwischen der modernen Welt der Samen und den alten nomadischen Traditionen auseinander.
- In starken Bildern bringt Helander Themen wie Identitätssuche und Verlorenheit auf den Punkt.
Wenn Marja Helander in einer Videoarbeit in einer nordsamischen Tracht auftritt, setzt sie damit auch ein politisches Zeichen: Sie will das einzige indigene Volk Europas sichtbar machen. Denn wie alle indigenen Völker haben auch die Samen Unterdrückung und Ausgrenzung erfahren.
Aus der Sprachtradition gefallen
In den 60er-Jahren war es noch gang und gäbe, dass samische Eltern bewusst darauf verzichteten, mit ihren Kindern Samisch zu sprechen. Sie wollten ihnen die Ausgrenzung und Schikanen ersparen, die sie selbst erlebt hatten.
Schulen und Behörden hatten nämlich alles daran gesetzt, den Samen ihre Muttersprache und kulturellen Eigenheiten auszutreiben. «Ich und meine Generation sind quasi aus einer Sprachtradition herausgefallen», erzählt die finnisch-samische Künstlerin Marja Helander mit einem melancholischen Lächeln.
Der Vater wird ein «City-Same»
Die 51-Jährige ist südlich von Helsinki aufgewachsen. Ihre Mutter ist Finnin, ihr Vater Same. Aufgewachsen ist Marja Helanders Vater in einer Rentierzüchterfamilie in Utzjoki, im äussersten Zipfel Finnlands, wo die Landschaft karg ist und die Flüsse reich an Lachsen. Weil die Rentierherde nicht als Lebensgrundlage für alle Kinder reichte, zog er 1200 Kilometer südwärts.
Er studierte, wurde Elektroingenieur und politisch aktiver «City-Same», der mit Marja und ihrer Schwester Finnisch sprach. Mit den Wurzeln ihres Vaters kam Marja Helander während den Sommer- und Winterferien bei den Grosseltern und Cousins in Kontakt.
Die wieder eroberte Sprache
Marja Helander wollte sich die verlorene Sprache zurückholen und besuchte ein Jahr lang einen Sprachkurs. «Ich verstehe Nordsamisch, spreche es aber nicht fliessend», gibt die Künstlerin zu.
Gut möglich, dass diese intensive Auseinandersetzung mit der wieder eroberten Sprache auch dazu beitrug, sich später künstlerisch mit dem Gegensatz zwischen der modernen Welt der Samen und den alten nomadischen Traditionen zu beschäftigen.
Verloren im Schnee
«Modern nomads» heisst eine Fotoserie. Da stakst eine «City-Samin» in engem Business-Dress und Stöckelschuhen durch eine atemberaubend weite Schneelandschaft. Auf dem Kopf trägt sie eine farbenfrohe, samische Mütze.
In einem starken Bild bringt Marja Helander Themen wie Identitätssuche und Verlorenheit auf den Punkt und bleibt gleichzeitig vielschichtig. Sie kombiniert Schönheit, Ironie und Wehmut. «Ich habe an das Erbe gedacht und an die City-Samin, die in die Gegend ihrer Verwandten mit der Rentierzucht kommt und sich verloren fühlt», sagt Helander.
Skurril und düster
Genauso vielschichtig ist die Künstlerin in ihrer Videoarbeit «Trambo». Eine Frau in einer roten nordsamischen Tracht zieht ein Trampolin mit Schutznetz durch eine Winterlandschaft. Sie bleibt stehen, öffnet das Netz und beginnt auf dem Trampolin zu hüpfen. Auf und ab. Dumpf klingen ihre Sprünge, wie Trommelschläge auf einer alten schamanischen Trommel.
Es ist eine skurrile Szenerie mit einer Portion Düsternis. Denn das Netz wirkt auch wie ein Gitter, hinter das man ein unangepasstes Wesen oder ein besonders kostbares, von Aussterben bedrohtes Tier gesperrt hat. Irgendwann beendet die Frau ihre Hüpferei und schleppt das Trampolin weiter durch die Landschaft.
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Vielleicht etwas Spass
Statt mit Rentieren und der Kote, dem Zelt der Samen, nomadisiert diese Frau mit einem jener schrecklichen Gegenstände, der heute in jedem besonders kinderfreundlichen Garten stehen. Das moderne Konsumgut und eine nomadisierende Kultur reichen sich hier kurz die Hand.
«Man hält inne, hat vielleicht etwas Spass und zieht dann weiter und stirbt irgendwann», sagt Marja Helander lachend. Und sie fügt an: «Das ist vielleicht auch eine pessimistische Arbeit, weil ich nicht weiss, ob das Leben einen Sinn hat.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 3.2.2017, 9:02 Uhr.