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Verlieben in Zeiten von Corona «Für Zweifel ist jetzt keine Zeit»

Dating auf Distanz – und dann gleich aufs Ganze gehen: Die Coronakrise macht zwar das Kennenlernen komplizierter. Sie kann eine frische Beziehung aber auch beflügeln.

Für die Liebe gibt es keinen Bundesratsentscheid. Doch mit der Pandemie befindet auch sie sich im Ausnahmezustand. Wie funktioniert das Kennenlernen, wenn das Credo für alle heisst: Abstand gleich Anstand?

In Corona-Zeiten eine neue Partnerin, einen neuen Partner zu finden, scheint schwierig zu sein. Oder täuscht der Eindruck? Blüht eine frische Liebe aktuell sogar besonders schnell auf, wenn alle anderen Ablenkungen wegfallen?

Hals über Kopf

Die Regisseurin und Drehbuchautorin Cosima Frei und ihr neuer Partner Franz sitzen auf einer blauen Couch in einer Berliner Wohnung. Hier haben sie einen grossen Teil des letzten Monats verbracht. Die Zürcherin arbeitet im Moment in Berlin an ihrem neuen Drehbuch.

Franz und Cosima lernten sich Mitte Februar kennen, verliebten sich und kamen kurz vor dem Lockdown zusammen. Die Welt stand still. Franz packte das Nötigste und wohnt seither bei Cosima.

Ein Mann und eine Frau trinken Wein in einem herzförmigen Raum, der an einen Coronavirus erinnert.
Legende: Raum für Rotwein und Romantik? Frisch Verliebte können der Krise Gutes abgewinnen. SRF / Yvonne Rogenmoser

Die Situation habe schon alles sehr beschleunigt, erzählt der Student. Da man in Deutschland nicht mehr als zwei Kontaktpersonen haben soll, haben sich die frisch Verliebten entschieden, in die komplette Liebesisolation zu gehen. 24 Stunden, 7 Tage die Woche.

Keine Zeit für Zweifel

Die Corona-Zeit war ein Katalysator für diese neue Liebe. «Mein inneres Warnsystem hatte gar keine Zeit, daran zu zweifeln, dass es passt», sagt Cosima Frei. Sie erzählt, dass in ihrem Liebesleben auch schon früher manchmal vieles gestimmt habe und dann doch immer die Zweifel gekommen seien.

«Dafür war jetzt keine Zeit», so die Regisseurin. Sie war zuvor elf Jahre lang Single, datete und swipte auf Datingapps durch unendlich viele Möglichkeiten.

Diese Möglichkeiten haben sich mit der Krise verändert. Unsere Multioptions-Gesellschaft wurde massiv heruntergefahren. Zu wissen, dass nicht schon hinter der nächsten Ecke ein neues Date wartet und der Gedanke, dass eben nicht gleich noch ein besserer, passenderer Mensch kommt, sondern jetzt schon der Richtige da ist: Hilft das der Liebe in Corona-Zeiten?

Gemeinsam einsam

Jedenfalls scheint die Lust, sich zu verlieben, gross zu sein. Eine neue Herangehensweise in Sachen Dating in der Krise nennt sich « Be My Quarantine », eine improvisierte Liebesbörse dreier Studierender aus Zürich. Am WG-Küchentisch sei die Idee entstanden, sagt Selina Sutter, eine der Mitgründerinnen. Sie haben am Anfang mit 50 Anmeldungen gerechnet, aktuell sind sie bei über 2000.

Ein Mann und eine Frau versuchen sich durch zwei Computer-Bildschirme hinweg zu küssen.
Legende: Daten geht aktuell fast nur auf digitalem Weg. Im besten Fall ist es trotzdem ein Match. SRF / Yvonne Rogenmoser

«Be My Quarantine» ist keine reguläre Dating-Plattform. Kein Programm, kein Algorithmus, sondern Hand und Herz entscheidet hier, wer wen trifft. Man matcht Menschen von Hand. In 25 Tagen hat «Be My Quarantine» so schon über 400 Menschen zu einem Video-Date verholfen.

Die eigenen Bedürfnisse spüren

Mit den impulsiven Entscheidungen, die man von Tinder kennt, habe das Ganze wenig zu tun, erklärt Mitgründer Dino Darmonski. Ein ausführlicher und witziger Fragebogen soll helfen «ein komplettes Bild von den Menschen zu bekommen.» Das wiederum soll zu einer weniger oberflächlichen Auswahl führen. Ein improvisiertes Verfahren, zwischen Bauchgefühl und Excel-Tabellen.

Selina Sutter glaubt, dass der Lockdown eine genauso gute Zeit ist, um die Liebe zu finden, wie jede andere: «Was jetzt anders ist, ist, dass man aufgrund der Situation gezwungen ist, sich mehr mit sich selber zu beschäftigen.» Dies sei ein guter Moment, um zu spüren, was man wolle und wen man suche.

Liebe in Zeiten von Corona

Mehr Raum für Fantasie

«In Krisenzeiten sind wunderbare Liebesbeziehungen entstanden», sagt auch die Philosophin Federica Gregoratto. Sie lehrt an der Universität St. Gallen und sieht durchaus auch Vorteile für das Finden der Liebe, wenn wir physische Distanz halten müssen.

Ein Mann und eine Frau blicken scheu aus einer Haus-Tür auf eine befahrene Strasse.
Legende: Auf frische Paare warte die Herausforderung, wenn man wieder raus könne, sagt die Philosophin. SRF / Yvonne Rogenmoser

Aktuell könne man wieder Dimensionen der Liebe kennenlernen, die in der Vor-Corona-Gesellschaft verloren gegangen seien. Dazu gehört das Warten und die Abwesenheit des anderen. «Das beflügelt die Fantasie, fördert die Einbildungskraft und verstärkt die Begierde», so Gregoratto.

Der Weg zurück in den Alltag

«Ich denke, für Leute, die schon lange zusammen sind, ist die Corona-Situation eine stärkere Belastungsprobe als für uns», sagt Regisseurin Cosima Frei. Sie stört die erzwungene Nähe nicht, ganz im Gegenteil: «Es ist ein Luxus, dass man keine Ablenkungen hat.»

Das wird die Herausforderung sein, wenn die Massnahmen gelockert werden. Dann müssen sich auch die frisch Verliebten mit dem regulären Alltag auseinandersetzen oder mit dem Freundeskreis, mit der Familie.

Federica Gregoratto ist gespannt, was mit den in der Krise entstandenen Liebesbeziehungen passiert, wenn sich die Situation wieder ändert. «Nur Partnerschaften, die mit Veränderungen kreativ umgehen können, haben über eine längere Zeit Bestand», so die Philosophin. Für die neuen Quarantänebeziehungen kommt der Stresstest also nach der Pandemie-Zeit.

SRF1, Kulturplatz, 29.4.20, 22:25 Uhr

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